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So rollten die Sechziger

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So rollten die Sechziger
Zwischen Mauerbau und Mondlandung

In den sechziger Jahren war das Automobil schon fast zur Selbstverständlichkeit geworden. Nach seinem erfolgreichen Rückblick auf die Automobilisierung in den fünfziger Jahren wendet sich Alexander Franc Storz nun den turbulenten Sechzigern zu, zeigt und beschreibt liebevoll die Allerwelts-Autos ebenso wie die seltenen Exoten.

Ausführlich beleuchtet er die Beziehungen zwischen den Deutschen und ihrem »liebsten Kind«, berichtet vom Straßenalltag, vom Reisen und vom Camping und wartet dabei wieder mit tollen Geschichten und stimmungsvollen Bildern auf.

Buchinformationen:

  • Alexander Franc Storz
  • So rollten die Sechziger - Zwischen Mauerbau und Mondlandung
  • 176 Seiten, 144 s/w-Bilder, 183 Farbbilder
  • 230 x 265 mm, gebunden
  • Motorbuch-Verlag
  • € 19.95, sFr 27.90
  • ISBN 978-3-613-03584-3

Kommentar:

In den Sechzigerjahren begann der Stern des Wirtschaftswunders bereits zu verglühen. Trotzdem blieb die Liebe des Deutschen zum Automobil ungebrochen. Wachsende Absatzzahlen bescherten den Konzernen satte Erträge und den Städten erste Probleme. Die Kleinstwagen und die Roller hatten in dieser Zeit des Wohlstands so gut wie ausgedient und hatten lediglich durch die alte Führerscheinklasse vier, mit welcher man ein Automobil bis 250ccm führen durfte, sofern man den Führerschein vor dem 01.12.1954 gemacht hatte, ihre Daseinsberechtigung.

Von dieser Daseinsberechtigung ist im Buch "So rollten die Sechziger", nichts zu bemerken. Alexander Franc Storz führt uns eine saturierte Welt vor. Es geht um den "Wohlstandsdeutschen", der sich nach dem Zweiten Weltkrieg nach oben gearbeitet hat. Mit dem Gewicht des Fahrers wuchs auch die Größe des Fahrzeugs. Ab und an erhebt der Autor den moralischen Zeigefinger, wenn es um des Deutschen liebstes Kind als Massenärgernis in überfüllten Städten geht, doch überwiegend geht es um das Mobilitätsverhalten in einem Jahrzehnt, das nahtlos an die goldenen Fünfzigerjahre anknüpfte und in seinem Auslauf die Schatten der Siebziger vorwegnahm, als die Vollbeschäftigung abzunehmen begann und erste konjunkturelle Dellen am sich verdüsternden Horizont erschienen.

Die Bilder im Buch sind zum überwiegenden Teil Privataufnahmen, was den Charakter eines privaten Fotoalbums beim Stöbern erzeugt. Einige Abschnitte innerhalb eines Kapitels sind gar nach Fabrikaten geordnet. So hat der Autor teilweise Opel-, Volkswagen, Mercedes- oder Fiat-Bilder gruppiert. Zunächst erweckt dies den Eindruck einer Vorliebe Storzens zu einer bestimmten Marke, doch nach weiterer Lektüre stößt man, wie bereits erwähnt, auch auf andere Fabrikate in gewisser Häufung, so daß durchaus ein System dahinter zu erkennen ist.

Abwechslungsreich streift Alexander Storz Schwerpunkte der Mobilität der 60er-Jahre. Dabei widmet dieser sich auch einem mittlerweile vergangenen Kapitel deutsch-deutscher Geschichte: dem nicht ganz hindernisfreien Zugang nach West-Berlin mit dem Automobil über die Transitstrecke. In West-Berlin sind vor allen Dingen die Fotos vom Checkpoint Charlie sehenswerte Zeugen innerdeutschen Zwists. Leider fanden nur zwei Bilder davon den Weg ins Buch.

Absolut lesens- und sehenswert ist das Kapitel der Eigenbauten auf Kunststoffbasis. Dieser Abschnitt strotzt nur so vor Prototypen und Kleinserien-Bausätzen. Die bekanntesten unter ihnen dürften der NSU-Thurner RS und der Kohlmus-Scirocco sein. Denn wer kennt schon den von Bayer in Leverkusen in Auftrag gegebene K67? Was ist mit dem "Corrida" des Münchners Max Hofer? Diese und noch ein paar mehr erfreuen den Leser mit skurrilen Geschichten und interessanten Bildern.

Bei all dem Licht, gibt es auch ein wenig Schatten. Zwar sind die Bildunterschriften Storzens wie immer sehr ausführlich und durchaus informativ, ist doch das Bemühen zu erkennen, nicht nur das abgebildete Fahrzeug sondern auch dessen jeweilige Umgebung zu analysieren. Das hätte durchaus Qualitäten zu einem unterhaltsamen Geschichtsunterricht, doch viel zu oft scheinen die Geschichten hinter den Bildern all zu offensichtlich sehr frei interpretiert zu sein. Dazu kommen noch einige Fehler in der Beschreibung der Automobile selbst. 190er und 200er Heckflossen-Mercedes sind nun mal nicht der Baureihe W111, sondern der Baureihe W110 zuzurechnen und auch bei Volkswagen zeigt der Autor Schwächen. Ein Käfer-Cabriolet mit Winkern aber nachgerüsteten Blinkern stammt nicht aus den Baujahren nach 1961. Da ist Alexander F. Storz auf die nachgerüsteten Blinker reingefallen. Davon abgesehen hat man bei einem Ovalkäfer die Blinker im Heckbereich nicht (nur!) nachgerüstet, wenn dieser einen Heckschaden hatte, sondern schlichtweg aus gesetzgeberischer Notwendigkeit, denn in Deutschland mußten bis zum 1. Juli 1963 alle Fahrzeuge über 4 m Länge und 1,6 m Breite mit Blinkleuchten an Vorder- und Rückseite versehen werden. Der abgebildete Käfer hat überdies auch keine späteren Kotflügel nachgerüstet bekommen, wie vom Autor gemutmaßt, denn die nachgerüsteten Blinker hängen deutlich zu tief - genau an der Stelle, an der beim Käfer bis zum 01.08.1955 die Einkammerleuchten saßen. Das mag man nun haarspalterisch nennen, doch i.d.R. werden Oldtimerbegeisterte die Leser dieses Buches sein und sich darin auf die Suche nach Fahrzeugen "ihrer" Marke machen. Da ist es besser, im Vorfeld sauber zu recherchieren, um hinterher keine langen Gesichter in der Leserschaft zu provozieren.

Wenn man aber über diese kleinen Schwächen hinwegsehen kann, bekommt man ein umfangreiches Bilderbuch mit vielen schönen Fotos voller Zeit- und Lokalkolorit. Wenn man aufmerksam genug hinsieht, entdeckt man auch die ein oder andere Rarität. Mir hat beispielsweise der Glas 1004 als Straßenwachtfahrzeug, der vom ADAC nie in Auftrag gegeben wurde, am besten gefallen!

Die Kapitel im Einzelnen:

  • Kapitel 1
    Spaßfaktor, Massenverkehrsmittel, Massenärgernis: Immer mehr Autos
  • Kapitel 2
    Verharren auf hohem Niveau: Die deutsche Automobilindustrie in den 60er-Jahren
  • Kapitel 3
    Zu satt für Hungermobile: Das Jahrzehnt ohne Kleinstwagen
  • Kapitel 4
    Eingemauert, abgeriegelt, auf besonderem Terrain: Autofahren nach Berlin
  • Kapitel 5
    Ausländer rein: Professioneller Vertrieb und eine automobile Zweiklassengesellschaft
  • Kapitel 6
    Plastik statt Blech: Ein glasseidenes Gewerbe
  • Kapitel 7
    Von der Wiege bis zum Tod

(mdr)