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Mercedes-Benz Silberpfeile von 1934 bis 1939

  • Der Typ W 25 (1934 bis 1936) begründet den Mythos der Mercedes-Benz Silberpfeile
  • Die nachfolgenden Rennwagen W 125, W 154 und W 165 führen die Erfolgsserie weiter

<>Der Mercedes-Benz SSKL, ein äußerst erfolgreiches Fahrzeug der 1920er und frühen 1930er Jahre, hatte seine Schuldigkeit getan – er ist von Erfolg zu Erfolg gefahren. 1934 bricht eine neue Zeit an: Das Projekt heißt W 25, und als Premierentermin für das Fahrzeug fasst Daimler-Benz das Avus- und das Eifelrennen im Vorfeld des Grand Prix von Frankreich am 1. Juli 1934 ins Auge, der zweite Große Preis der Saison. In Frankreich zu siegen wäre großartig, fast auf den Tag zwanzig Jahre nach dem Dreifach-Triumph von Lyon der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG). Zwar gewinnt schließlich ein Alfa Romeo P3 Tipo B den Lauf in Montlhéry, doch verkörpert der W 25 den letzten Stand der Dinge.


Der Silberpfeil: Der Mercedes-Benz W 25 trug als erster Rennwagen
diese Bezeichnung. Die Nibel-Konstruktion war in den Jahren 1934 bis
1937 sehr erfolgreich im internationalen Renngeschehen.

Verantwortlich für das Projekt ist Hans Nibel, für das Chassis Max Wagner, für den Motor das Duo Albert Heeß und Otto Schilling. In der Versuchsabteilung unter Fritz Nallinger prüft Georg Scheerer, einer der Helfer bei der Geburt der Kompressorwagen der DMG, die Maschinen auf Herz und Nieren. Otto Weber baut sie zusammen, Jakob Kraus montiert die Chassis – beide sind Veteranen des DMG-Ausflugs nach Indianapolis 1923.

Der Rennwagenmotor, ein – auch aus heutiger Sicht hochmoderner – Vierventiler mit zwei obenliegenden Nockenwellen, an dem jeweils vier Verbrennungseinheiten mit dem Zylinderkopf und den Kühlwassermänteln verschweißt sind, bringt 211 Kilogramm auf die Waage. Das Getriebe ist zur besseren Verteilung der Achslasten am Differential angeflanscht (Transaxle-Bauweise). Der Kompressor sitzt vorn und beschickt zwei Druckvergaser mit komprimierter Luft. Der Tank fasst 215 Liter und wird je 100 Kilometer um 98 Liter erleichtert. Die vier Fahrstufen und den Rückwärtsgang legt der Pilot per Kulissenschaltung mit Verriegelung rechts neben dem Fahrersitz ein.

Der Fahrzeugrahmen besteht aus zwei Längsträgern im U-Profil mit Querverstrebung, aus Gewichtsgründen wie am SSKL vielfach durchbohrt. Die Karosserie mit ihren vielen Kühlschlitzen wird per Hand aus Aluminium gehämmert. Die Aufhängungen sind aerodynamisch umkleidet, ein schlichter Grill mit vertikalen Stäben schließt den Aufbau nach vorn, ein markant sich verjüngendes Heck nach hinten ab.

Die Einsatzautos für 1934 sind Anfang Mai komplett. Am Donnerstag vor dem Avus-Rennen am 27. Mai nehmen in aller Herrgottsfrühe Manfred von Brauchitsch, Luigi Fagioli und Rudolf Caracciola Platz an ihren Volants. Trotz dieses erfolgreichen Tests zieht das Management die drei Wagen zurück – sie seien noch nicht rennfertig, heißt es. Premiere würde das Eifelrennen eine Woche später sein.

Ironie der Geschichte: Die 750-Kilogramm-Formel ist geschaffen worden, um die ausufernden Geschwindigkeiten der Boliden – etwa von Alfa Romeo, Bugatti und Maserati - in den Griff zu bekommen. Erreicht wird genau das Gegenteil, da die Konstrukteure generös die Hubräume ausweiten. 280 PS (206 kW) peilen die Mercedes-Benz Techniker für den Erstling M 25 A an, sie rechnen dabei die Literleistung des Zweiliter-Kompressor-Triebwerks M 2 L 8 von 1924 hoch, mit dem Caracciola 1926 den Großen Preis von Deutschland auf der Avus gewonnen hatte. Sie beträgt 85 PS (63 kW), so dass es auf dieser Basis für den neuen Motor eines Volumens von 3360 Kubikzentimeter bedarf. Tatsächlich leistet der Achtzylinder anfänglich 354 PS (260 kW). Danach gibt es mehrere Ausbaustufen. Die Variante M 25 AB mit 3710 Kubikzentimeter Hubraum leistet 398 PS (293 kW). Dann folgen die Varianten M 25 B mit 3980 Kubikzentimeter und 430 PS (316 kW), C mit 4300 Kubikzentimeter und 462 PS (340 kW) und schließlich 1936 die Version ME 25 mit 4740 Kubikzentimeter und 494 PS (363 kW) – immer bei 5800/min.


Mercedes-Benz W 25, Formel-Rennwagen in der Ausführung von 1936:
Kleine Lufteinlassöffnungen an der Frontmaske und vollkommen
verkleidete Schwingarme an der Hinterachse.

Die Bilanz für Mercedes-Benz ist strahlend: Auf das Konto des W 25 gehen 16 Siege in Großen Preisen und weiteren bedeutenden Rennen.

Mercedes-Benz W 125 (1937)

Für die Saison 1937 entwickelt Mercedes-Benz einen neuen Rennwagen: den W 125. Dessen Rückgrat bildet ein ungemein stabiler Ovalrohrrahmen aus einem speziellen Stahl mit vier Querträgern, wie er für die Produktionswagen der Marke erprobt ist und zum Beispiel im Typ 230 von 1938 verwendet wird. Anders geführt sind die Räder, vorn an doppelten Querlenkern mit Schraubenfedern wie bei den gefeierten, noblen Serienmodellen 500 K und 540 K, hinten an einer De-Dion-Doppelgelenkachse, die konstanten Sturz garantiert, mit längs angesiedelten Drehstabfedern und hydraulischen Hebelstoßdämpfern. Seitliche Lenker geben Schub- und Bremsmomente an das Fahrgestell weiter.

Der Ingenieur Rudolf Uhlenhaut wählt nach ausgiebigen Versuchsfahrten auf dem Nürburgring eine revolutionäre Fahrwerksauslegung: Die bislang übliche Abstimmung des Fahrwerks – hart gefedert, aber wenig gedämpft – verkehrt Uhlenhaut kurzerhand und richtungsweisend ins Gegenteil: Der W 125 rollt weich gefedert und zudem mit großem Federweg, aber kräftig gedämpft an den Start und darf damit als Vorbild für alle modernen Mercedes-Benz Sportwagen gelten. Das äußere Erscheinungsbild ähnelt dem seines Vorgängers. Unverwechselbarkeit stellt sich vor allem durch die drei Kühlöffnungen in der Frontpartie ein. Für das sehr schnelle Avus-Rennen am 30. Mai 1937 (Hermann Lang erzielt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 261,7 km/h) wird er mit einer Stromlinienkarosserie versehen. Getriebe und Differenzial bilden eine Einheit. Der Reihenachtzylinder ist die höchste Ausbaustufe des seit 1934 aktuellen Grand-Prix-Triebwerks. Der Kompressor ist den Vergasern nachgeordnet – eine Premiere bei den Rennwagen von Mercedes-Benz –, so dass er mit dem bereits fertigen Gemisch beschickt wird.


Mercedes-Benz Formel-Rennwagen W 125, 1937

Obwohl der W 125 nur ein Jahr eingesetzt wird, kommt er seinem schnellen Auftrag mit großer Variabilität nach. Er lässt sich exakt auf den jeweiligen Kurs einrichten, dank unterschiedlicher Getriebe, Tankvolumina und Spritcocktails, Vergaser, Lader, Pneu- und Felgengrößen, Reifenprofilen und selbst den äußeren Maßen. Entsprechend schwanken Leistung, Drehmoment, Höchstgeschwindigkeit sowie die Geschwindigkeiten in den einzelnen Gängen. Zum Beispiel stehen acht verschiedene Übersetzungsverhältnisse und zwei unterschiedliche Hinterradgrößen (7,00-19 und 7,00-22) zur Verfügung. Für den Gran Premio d'Italia in Livorno am 12. September 1937 etwa sind 592 PS (435 kW) bei 5800/min überliefert. Dabei verbraucht der Motor, inzwischen bei einem Volumen von 5660 Kubikzentimeter angelangt, einen Liter Treibstoff pro Kilometer, einer aggressiven Spezialmischung aus 88 Prozent Methylalkohol, 8,8 Prozent Aceton sowie Spuren anderer Substanzen. Rennfertig bringt der W 125 rund 1097 Kilogramm (ohne Fahrer 1021 Kilogramm) auf die Waage, mit 240 Liter Kraftstoff, sieben Liter Wasser, neun Liter Motor- und 3,5 Liter Getriebeöl an Bord. Auf dem Prüfstand werden dem 222 Kilogramm schweren Motor bis zu 646 PS (475 kW) entlockt, was einer stolzen Literleistung von 114 PS (84 kW) sowie einem Leistungsgewicht von 1,16 Kilogramm pro Pferdestärke entspricht – ein Wert, der erst Jahrzehnte später überboten wird, ebenso wie Hermann Langs Stundenmittel auf der Avus von 271,7 km/h.

Mercedes-Benz W 154 (1938 bis 1939)

Im September 1936 steckt die Motorsport-Behörde AIACR (Association Internationale des Automobile Clubs Reconnus) die von 1938 an geltende Grand-Prix-Formel ab. Die Kernpunkte: maximal drei Liter Hubraum mit Kompressor oder 4,5 ohne, minimal 400 bis 850 Kilogramm Gewicht, je nach Volumen des Motors.

Die Saison 1937 ist kaum beendet, da hat man bei Mercedes-Benz bereits die nächste im Visier, mit einer Vielzahl von Ideen, Konzepten und konkreten Schritten. Ein Saugmotor mit drei Bänken und je acht Zylindern, also eine W 24-Anordnung, wird ebenso erwogen wie ein Heckmotor, direkte Benzineinspritzung und Vollstromlinie. Vor allem aus thermischen Gründen entscheidet man sich am Ende für den V12 im Gabelwinkel von 60 Grad, den Spezialist Albert Heeß im Hause Daimler-Benz selbst entwickelt. Mit einem Inhalt von 250 Kubikzentimeter pro Verbrennungseinheit ist man wieder bei dem Minimalwert des Zweiliter-Achtzylinders M 2 L 8 des Jahres 1924 angelangt. Glykol als Kühlflüssigkeit lässt Temperaturen bis zu 125 Grad Celsius zu. Vier obenliegende Nockenwellen bedienen über gegabelte Schlepphebel 48 Ventile. Je drei geschmiedete Stahlzylinder sind in aufgeschweißten Stahlblech-Kühlmänteln vereint, die Köpfe nicht abnehmbar. Starke Pumpen lassen pro Minute 100 Liter Öl durch das fünf Zentner schwere Aggregat laufen. Unter Druck gesetzt wird es zunächst von zwei Einstufenkompressoren, die 1939 von einem Zweistufenkompressor ersetzt werden.

Im Januar 1938 arbeitet der Motor erstmals auf dem Prüfstand. Sein erster fast störungsfreier Probelauf folgt am 7. Februar, wobei er mit 427 PS (314 kW) bei 8000/min aufwartet. Im Durchschnitt stehen den Fahrern Caracciola, Lang, von Brauchitsch und Seaman in der ersten Hälfte der Saison 430 PS (316 kW) zur Verfügung, am Ende sind es mehr als 468 PS (344 kW). Über das mit 474 PS (349 kW) stärkste Exemplar verfügt Hermann Lang in Reims, wo sein W 154 mit Tempo 283 km/h bei 7500/min über die zahlreichen Geraden schießt. Und erstmals hat ein Mercedes-Benz Rennwagen fünf Gänge.

Viel leichter als seine Kollegen von der Motorenentwicklung tut sich Fahrwerkingenieur Max Wagner, der die fortschrittliche Chassis-Architektur des W 125 vom Vorjahr weitgehend unverändert übernimmt, nicht ohne dem Rahmen eine noch einmal um 30 Prozent verbesserte Verwindungssteifigkeit zu geben. Der V12 ist tief und im Winkel eingelassen. Die Lufteinlässe der Vergaser schauen mitten aus dem Kühler hervor, der Grill davor wird im Vorfeld der Saison immer breiter.


Rudolf Uhlenhaut am Steuer des Mercedes-Benz 3-l-Formel-Rennwagen
(W 154) bei den ersten Testfahrten in Monza, 1938.

Der Pilot sitzt rechts neben der Kardanwelle. Dass der W 154 tief geduckt über dem Asphalt kauert – die Räder überragen deutlich die Silhouette des Aufbaus – verleiht ihm nicht nur einen optisch-dynamischen Auftritt, sondern senkt auch den Schwerpunkt beträchtlich. Manfred von Brauchitsch und Richard Seaman, auf deren Technikererfahrung sich Chefingenieur Rudolf Uhlenhaut fast unbesehen verlassen kann, zeigen sich spontan angetan von seiner Straßenlage.

Der W 154 ist der bis dato erfolgreichste Silberpfeil: 1938 wird Rudolf Caracciola Europameister (eine Weltmeisterschaft gibt es noch nicht), der W 154 siegt in drei von vier für die Meisterschaft relevanten Grand-Prix-Rennen. 1939 erringt Herrmann Lang den Titel des Europameisters.

Um Probleme bei der Gewichtsverteilung zu vermeiden, tariert man die Balance mit einem zusätzlichen Satteltank über den Beinen des Fahrers aus. 1939 verhilft ein Zweistufengebläse dem V12, nun intern M 163 genannt, zu 483 PS (355 kW) bei 7800/min. Die Bemühungen der AIACR, die Grand-Prix-Monoposti auf ein vertretbares Maß zu begrenzen, sind praktisch gescheitert. Die schnellsten Runden etwa auf dem Bremgarten-Kurs sind 1937 (nach der 750-Kilogramm-Formel) und 1939 (mit den Dreilitern der neuen Generation) fast identisch. Auch sonst ist der W 154 über den Winter erheblich überarbeitet worden. So gewährt eine höher gezogene Verkleidung im Bereich des Cockpits dem Piloten mehr Sicherheit, und der kleine Instrumententräger thront nun in seinem unmittelbaren Blickfeld auf dem Satteltank. Wie üblich vermittelt er nur die notwendigsten Informationen, mit einem großen Drehzahlmesser in der Mitte, flankiert von den beiden Uhren für Wasser- und Öltemperatur. Denn zu den Grundsätzen Uhlenhauts zählt, den Mann am Volant nicht durch ein Übermaß an Daten zu verwirren.

Mercedes-Benz W 165 (1939)

Das Lieblingsrennen der Grand-Prix-Teams in den 1930er Jahren ist eine Veranstaltung, die gar nicht zum Europameisterschafts-Zyklus zählt: der Große Preis von Tripolis in Libyen, italienische Provinz seit Januar 1934. Gouverneur ist der bärtige Luftmarschall Italo Balbo, dem Rennsport wie auch den anderen guten Dingen des Lebens von Herzen zugetan und überdies ein glänzender Gastgeber.

Die Veranstaltung in Tripolis ist einfach attraktiv für die Teams: Es winken sommerliche Hitze, während Europa noch fröstelt, exotisches Ambiente über Marmor und unter Palmen, rauschende Feste und üppige Preisgelder, zumal Italien seit 1933 mit großer Spielfreude im Rahmen einer Lotterie auf Sieger und Platzierte setzt. Kein Wunder, dass man den Weg dorthin gern antritt.

Insgeheim ärgert es die Veranstalter jedoch, dass ein italienischer Rennwagen dieses Rennen zuletzt 1934 gewonnen hatte, ein Alfa Romeo. Danach sind die Silberpfeile auf die Spitzenplätze auf dem schnellen, dreizehn Kilometer langen Mellaha-Kurs um den gleichnamigen See vor den Toren von Tripolis abonniert. 1935 siegt Rudolf Caracciola. 1937 und 1938 sitzt Hermann Lang am Volant des Mercedes-Benz Boliden. 1936 gewinnt ein Auto Union Rennwagen

Da muss Abhilfe geschaffen werden. Bereits 1937 und 1938 sorgt eine eigens eingerichtete 1,5-Liter-Kategorie für italienische Triumphe wenigstens in den unteren Rängen. Vieles deutet darauf hin, dass die von 1941 an geltende Grand-Prix-Formel für Wagen mit dem gleichen Volumen ausgeschrieben wird. In vorauseilendem Gehorsam, aber auch um den Deutschen in Tripolis das Siegen auszutreiben, begrenzt die italienische Motorsport-Behörde den Hubraum für Top-Monoposti ab 1939 im eigenen Land auf 1500 Kubikzentimeter (Voiturette-Formel). Alfa Romeo mit dem Alfetta 158 und Maserati mit dem neuen 4CL sind gut gerüstet.

Verkündet wird das Reglement im September 1938. Mercedes-Benz Rennleiter Alfred Neubauer erfährt davon am 11. September nach dem Gran Premio d'Italia in Monza. Der 13. Tripoli Grand Prix ist für den 7. Mai 1939 angesetzt. Es bleiben also weniger als acht Monate – ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Er wird in einem überragenden Erfolg enden.

Die einzelnen Stationen: Ein erstes Treffen der Beteiligten wird am 15. September 1938 anberaumt. Den Einwand der Konstrukteure, ein solches Projekt sei in der allzu knappen Zeit nicht machbar, schmettert Max Sailer, Ex-Rennfahrer im Dienste des Hauses und seit 1934 Chefingenieur, ab: Es müsse sein. Am 18. November folgt die offizielle Weisung des Managements. Mitte Februar 1939 liegen die wesentlichen Zeichnungen von Motor-Spezialist Albert Heeß und der Leiter der Pkw-Konstruktion Max Wagner vor. Anfang April kommt es in Hockenheim zur ersten Begegnung der Fahrer Rudolf Caracciola und Hermann Lang mit einem der beiden gebauten Wagen, der fast klaglos 500 Kilometer abspult. Zur allgemeinen Verblüffung erscheinen auf der Nennungsliste für den Tripoli Grand Prix, welche die Veranstalter am 11. April herausgeben, zwei Mercedes-Benz W 165 – die ersten 1,5-Liter-Rennwagen der Stuttgarter seit der Targa Florio 1922.


Mercedes-Benz W 165, Formel-Rennwagen, 1939

Der immense Zeitdruck löst Sachzwänge aus. Der W 165 muss sich in allen wesentlichen Punkten am aktuellen Grand-Prix-Wagen orientieren, dem W 154, der überdies gleichzeitig fieberhaft weiterentwickelt wird. In der Tat kommt der Tripolis-Monoposto wie sein maßstabsgerecht geschrumpfter großer Bruder daher, 3680 Millimeter lang (W 154: 4250 Millimeter), mit dem verkürzten Radstand von 2450 Millimeter (W 154: 2730 Millimeter). Die Streben seines Ovalrohrrahmens bestehen aus Chrom-Nickel-Molybdänstahl, neben den fünf Quertraversen bildet der hintere Motorträger eine zusätzliche Verstrebung. Der Fahrer sitzt eine Idee rechts von der Mitte, somit auch die Windschutzscheibe und das Paar Rückspiegel. Wie am W 154 ist die Kardanwelle im Winkel angebracht, ohne dass wegen der beengten Raumverhältnisse dadurch Platz für eine zentrale Position hätte geschaffen werden können. Überdies ist der Sitz relativ weit nach vorn verlagert, weil Wagner möglichst viel Treibstoff innerhalb des Radstands unterbringen will. Wieder gesellt sich zum Reservoir im Heck ein Satteltank über den Schenkeln des Piloten. Voll getankt, aber ohne Fahrer, wiegt der W 165 ganze 905 Kilogramm, wovon 53,3 Prozent über der Hinterachse lagern.

Auch der Motor, 195 Kilogramm leicht, kann seine enge Verwandtschaft zum V12 des W 154 nicht verleugnen. Es ist ein V8 mit 1493 Kubikzentimeter Hubraum im Winkel von 90 Grad mit vier obenliegenden Nockenwellen und 32 Ventilen, deren Antrieb und Anordnung fast identisch sind mit denen des Grand-Prix-Modells. Je Zylinderreihe, die rechte ist um 18 Millimeter nach vorn versetzt, gibt es einen Stahlblock mit aufgeschweißtem Mantel für die Glykol-Umlaufkühlung. Die Köpfe sind mit den Zylindern verschweißt. Versuche mit einem Kreiselkompressor werden abgebrochen, da bei niedriger Drehzahl der Ladedruck rasch abstürzt. Die Gemischbildung besorgen zwei Solex-Saugvergaser, kraftvoll unterstützt von zwei Roots-Gebläsen. Die entwickelten 254 PS (187 kW) bei 8250/min kommen einer Literleistung von 170 PS (125 kW) gleich – ein Spitzenwert. Für ihre Bändigung ist ebenfalls gesorgt. Mächtige Bremstrommeln (Durchmesser 360 Millimeter) füllen fast das gesamte Innere der Speichenräder aus. Selbst die extremen Temperaturen im libyschen Gastland – am Renntag 52 Grad Celsius über der breiten Piste – hat man berücksichtigt, indem man die Kraftstoffleitung über Röhrenkühler führt.

Der Rest ist Renngeschichte vom Feinsten. Die Mercedes-Benz W 165 lassen ihren Gegnern praktisch keine Chancen. Caracciola fährt auf frischen Reifen mit seinem kurz übersetzten Wagen die volle Distanz durch, Hermann Lang legt – wie vorher festgelegt – einen schnellen Boxenstopp ein und gewinnt mit längerer Übersetzung (und dadurch mehr Höchstgeschwindigkeit) das Rennen von Tripolis mit fast einer Runde Vorsprung vor seinem Markenkollegen. Er hätte ihn überrunden können. Doch dann melden sich Skrupel – das könne er diesem Mann nicht antun, denkt er. Die Zeiten waren halt anders...