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Claus Luthe - eine Hommage

Von Dr. Ralf Ziegler

Am 17.3.2008 verstarb in München Claus Luthe, einer der wenigen deutschen Automobildesigner von Weltrang, der allerdings im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen stets die Öffentlichkeit mied, im Alter von gerade einmal 75 Jahren.

Statt mich in einem typischen Nachruf zu verlieren, erinnere ich mich lieber an das Jahr 2006, als ich die Möglichkeit hatte, meinen 40. Geburtstag zusammen mit Claus Luthe zu verbringen.

Irgendwo im Olympischen Dorf ist ein älteres Ehepaar auf dem Weg zur Einkaufspassage, begleitet von zwei Verrückten. Das ältere Ehepaar, das sind Claus Luthe und seine Frau Trudi. Ein im Laufe von über 50 Ehejahren bestens aufeinander eingespieltes Team, das sich gegenseitig über die erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen der Jahre hinweghilft, statt sich davon unterkriegen zu lassen. Die beiden Verrückten, das sind mein Freund Oliver und ich. "Wissen Sie", meint Frau Luthe, "er hat immer noch nur Autos im Kopf. Er liest jede Auto-Zeitschrift, die er bekommen kann, um zu sehen, was seine Kollegen von heute so machen."

"Kollegen von heute" ... das klingt so, als sei alles schon ewig her und als hätte sich seither die Design-Welt grundlegend geändert. So lange ist die „Ära Luthe“ bei BMW eigentlich noch gar nicht vorbei. 14 Jahre lang, von 1976 bis 1990, war Claus Luthe Chefdesigner bei BMW, vorher prägte er das Design der Marken VW, Audi, NSU und FIAT. Neuwagen aus der Feder von Claus Luthe standen noch vor acht Jahren in den Verkaufsräumen.

Wie kam Claus Luthe zum Automobildesign? Wie kann jemandem in den frühen 60er Jahren mit dem RO80 ein Design der 80er Jahre einfallen?

Genau diesen Fragen wollen wir nachgehen. Also setzen wir uns zusammen, zunächst in der Lobby des Sheraton-Hotels, später bei Luthes zu Hause.

Claus Luthe hat viel zu erzählen. Von seinen ersten Kleinstwagen-Anfängen (die Front des legendären FIAT 500 wurde von ihm mitentworfen) bis zum E32 - 7er reicht die Spanne seines Wirkens. Von eher Unauffälligem (z.B. Audi 50 / VW Polo) bis zu Spektakulärem (NSU RO 80). Vielfältiger und unterschiedlicher geht es kaum.

Da über die Anfangszeit des Automobil-Designers nicht viel bekannt ist, versuchen wir es mit einer chronologischen Aufarbeitung. Wie kam Claus Luthe überhaupt zu diesem nicht alltäglichen Beruf?

Im Jahr 1943 fällt der Vater von Claus Luthe wie so viele seiner Generation im zweiten Weltkrieg. Auf der Suche nach einer neuen Existenz verläßt der Rest der Familie Luthe die Wuppertaler Heimat. So verschlägt es den damals 11-jährigen Claus Luthe nach Würzburg. Er bekommt dort Kontakt zum Omnibus- und Sonderaufbau-Hersteller Voll und entdeckt seine Liebe zum Karosseriebau. Claus Luthe absolviert die Karosseriebau-Lehre mit Bravour und strebt sogleich mit Feuereifer und in Windeseile seinen Karosseriebaumeister an.

Daraus wird dann leider erst einmal ein fulminanter Fehlstart: Denn er ist bei Bestehen der Meisterprüfung drei Jahre zu jung für den Meistertitel. So muss er erst noch drei Jahre lang auf die Aushändigung des Meisterbriefes warten. Die Bürokratie konnte schon vor einem guten halben Jahrhundert gnadenlos sein...

Seine ersten Design-Gehversuche macht Luthe bei FIAT in Heilbronn. Die knuffig-emotionale Schnauze des FIAT 500, dem Inbegriff italienischen Automobildesigns, war sein Erstlingswerk.

Familiär vorbelastet (sein Schwiegervater war NSU-Händler) zieht es Claus Luthe Ende der 50er Jahre zu NSU. Vermutlich sowohl ein Traumjob als auch ein Alptraum-Job: NSU hat bis dato überhaupt keine eigene Designabteilung. Das sichert Luthe auf der einen Seite größtmögliche Freiheit bei der Arbeit, auf der anderen Seite war es aber auch ein sehr verantwortungsvoller Posten, muss doch erstmalig ein "Markengesicht" geschaffen und die designerische Gestaltung einer kompletten Produktfamilie in Angriff genommen werden.

Das erste Modell, für das Claus Luthe verantwortlich zeichnet, ist die zweite Prinz-Generation. Eine glatte, schnörkellose Linie mußte her, die den Wagen nicht allzu kleinwagenmäßig und gleichzeitig modern aussehen ließ. Pate für diese neue Linie steht der Chevrolet Corvair, ein erster Versuch von General Motors, europäischen Fahrzeugen ein amerikanisches Pendant entgegenzustellen.

Die hoch angesetzte, durch eine Chromleiste betonte Gürtellinie, die großzügige Verglasung, glatte Flächen ohne überflüssigen Schnickschnack - das soll in Variationen die neue NSU-Linie werden, so die Vorstellung des Vorstands.

Danach kommt ein Auto wie von einem anderen Stern:

Nein, kein Mercedes, dort war zu dieser Zeit Claus Luthes BMW - "Amtsvorgänger", Paul Bracq, Designchef. Sondern der Ro80. Das Auto, das bis heute am ehesten mit dem Namen Claus Luthe in Verbindung gebracht wird, ist ein Fahrzeug mit einem völlig neuen Antriebskonzept. Und das soll auch optisch zum Ausdruck kommen: Der Wankelmotor baut sehr flach, also konnte man die Front sehr niedrig gestalten. Da der Entwicklungsauftrag vorsah, daß der Wagen möglichst windschnittig aussehen solle, entwickelt Claus Luthe aus den technischen Möglichkeiten und den formalen Vorgaben die aerodynamische Keilform mit zierlicher, flacher Front, ansteigender Gürtellinie und hohem ausladendem Heck. Knapp 2 Jahrzehnte später wird dies zum Design-Standard aller namhaften Hersteller und ein Indiz dafür, welche progressive Voraussicht Claus Luthe damals entwickelt hat.

Dabei gelang Claus Luthe das Kunststück, ohne Zugang zu einem Windkanal nicht nur eine Karosserie zu entwickeln, die aerodynamisch aussah, sondern es tatsächlich auch war. Der für Mitte der 60er Jahre revolutionäre cw-Wert von 0,355 konnte nach minimalen Retuschen an der fertigen Designstudie in einem angemieteten Windkanal erreicht werden. In der Werbung wurde dann eine „vom Wind gezeichnete“ Karosserieform – Claus Luthe musste bei dieser Formulierung lächeln. Wenn er bei der Entwicklung der Grundform des RO80 einen Windkanal zur Verfügung gehabt hätte, wäre vieles einfacher gewesen.

Auf den ersten Blick deutlich biederer, aber nicht weniger genial ist der NSU K70. Auch hier folgte die Form der Technik: Motor und Getriebe waren aus Gründen der Raumökonomie übereinander angeordnet. Folglich geriet der NSU K70 eher kastenförmig mit hoher Front, dafür war er aber ein wahres Raumwunder. Kein anderes Modell dieser Fahrzeugklassse konnte mit derart großzügigen Raumverhältnissen und einem derartig großen Kofferraumvolumen aufwarten. Leider fiel die Fertigstellung des NSU K70 in die Wirren um das Ende der Marke NSU. Kurz vor Fertigungsbeginn wurde das Projekt gestoppt, VW (damals erkannte man dort offensichtlich nicht, wie sehr man sich inzwischen mit den luftgekühlten Heckmotorfahrzeugen vergaloppiert hatte) hatte wenig Interesse daran und beginnt zunächst, das ungeliebte Kind nach eigenem Gutdünken und an den ursprünglich verantwortlichen vorbei stilistisch zu überarbeiten. Was passiert, wenn Designer, die einen VW 411 schön finden, sich an einem Luthe-Entwurf austoben, kann man am VW K70 schlußendlich sehen. Luthe jedenfalls war mit dem Ergebnis dieser Überarbeitung alles andere als zufrieden.

Im Hause VW/Audi hat Claus Luthe noch einige Jahre Fahrzeugdesign betrieben, so ist er am ersten Audi 50 / Polo maßgeblich beteiligt. Hier ist man allerdings gewissen Zwängen, die der Vorstand auferlegt, ausgesetzt, die in der neu formierten Designabteilung um Claus Luthe umzusetzen sind. Das Ur-Design von Audi 50 und Polo stammte aus dem Hause Bertone, davon darf nur bedingt abgewichen werden, so die Devise.

Weitere Arbeiten von Claus Luthe für VW/Audi waren das Interieur vom Audi 100 Typ 43, und aus überarbeiteten Ro 80 Entwürfen "bastelte" man dann nach seinem Austritt aus dem Unternehmen den Audi 80 Nachfolger von 1978. Die Zeit bei NSU und anschließend bei VW/Audi bezeichnet Claus Luthe schon als prägend, vor allem die in dem größeren Konzern auferlegten Vorgaben des Vorstandes haben ihn jedoch letztendlich dazu bewogen, neue Herausforderungen anzunehmen.

Wir schreiben das Jahr 1976. Paul Bracq hatte nach gerade einmal vier Jahren bei BMW (1970 - 1974), in denen er das Marken-Design von BMW grundlegend verändert hat, BMW Richtung Peugeot verlassen.

Claus Luthe ist gerade von Audi zu BMW gekommen und steht vor lauter Problemen: Erstens ist die neue von Paul Bracq eingeführte BMW - Designlinie derart frisch eingeführt, dass man vorerst nichts anderes machen kann, als sie konsequent fortzuführen. Keine Zeit für Kreativität und revolutionäre Entwürfe à la RO80 also.

Zweitens war das allererste Bracq-Auto von BMW noch keine reinrassige Bracq-Kreation: Der E12 – 5er sieht, gerade einmal 4 Jahre auf dem Markt und bereits einem größeren Facelift unterzogen deutlich barocker aus als E21-3er, E24-6er und der nahezu marktreife E23 -7er. Zu guter letzt ist die BMW AG des Jahres 1976 noch nicht so wohlhabend, wie wir das heutzutage gewohnt sind.

Und so steht ein schwer zu lösender Brocken Arbeit vor Claus Luthe: Er soll mit einem (auch für damalige Verhältnissen bescheidenen) Budget von 100 Millionen Mark einen neuen 5er zaubern. Ein Ding der Unmöglichkeit. Da ist eine pfiffige Idee gefragt. Die kommt Claus Luthe bei seiner ersten Dienstreise im März 1976 auf dem Genfer Automobilsalon. Der "neue" Ford Taunus wies den Weg:

Indem man die tragende Karosseriestruktur und die Fahrgastzelle weitgehend unverändert erhalten hat und lediglich die äußeren Blechteile von Front und Heck sowie die Innenausstattung einer Verjüngungskur unterzogen hat, gelang es Ford, mit minimalem Aufwand ein scheinbar neues Auto auf den Markt zu bringen.

Und so begibt man sich an das Projekt E28. Den Rotstift immer fest im Blick werden Front und Heck gestrafft und von allen verspielten Details befreit. Die Fahrgastzelle bleibt, wie sie war, die Innenausstattung wird komplett neu entwickelt. Die Motorhaube ist nun hinten statt vorne angeschlagen - wieso eigentlich? Claus Luthe jedenfalls weiß es auch nicht. Wahrscheinlich war es wie so oft: Die Entwicklungsabteilung entwickelt quasi zum Zweck des Selbsterhaltes neue Dinge. Dafür wird sie schließlich bezahlt. Die offizielle Begründung, die erhöhte Sicherheit beim Frontalaufprall, kann jedenfalls nicht ganz der Wahrheit entsprochen haben: Der E28-Nachfolger, der E34, hatte wieder eine in alter BMW-Tradition vorne angeschlagene Motorhaube. Und rühmte sich, sicherer als sein Vorgänger zu sein.

Irgendwann muß das Projekt E28 allerdings übel entglitten sein, allerdings nicht im Verantwortungsbereich der Designabteilung: In die propere neue Karosserie zog plötzlich auch neue Technik ein: Vorder- und Hinterachse wurden neu entwickelt, die Elektronik zog in Form von elektronischem Tachometer, elektronisch geregelter Heizung, Service-Intervallanzeige, Check-Control und Bordcomputer in den E28 ein.

Das Ende vom Lied: Das Projekt E28 hat sich vom Facelift, das wie ein neues Auto aussieht zu einem neuen Auto, das wie ein Facelift aussieht, entwickelt. Von dieser Entwicklung nicht verschont blieb das Entwicklungsbudget. Aus ursprünglich 100 Millionen Mark wurden schlussendlich 400 Millionen Mark. Allerdings nahm man diese Entwicklung bei BMW offenbar sehr gelassen hin - es rollten keine Köpfe und beim Anblick des Ergebnisses waren alle Verantwortlichen zufrieden. Man hat zwar mehr Geld ausgegeben, als geplant, aber dafür auch viel mehr Auto bekommen als erhofft. Und für alle Knauserer wurde ja auch gespart - die Rückleuchten sollten z.B. ursprünglich hochwertiger gefertigt werden. Die in der Serienfertigung verchromten Teile waren ursprünglich aus gebürstetem Edelstahl geplant - das wäre aber in der Fertigung zu teuer gewesen.

Die Art und Weise, in der der E28 überarbeitet wurde, hatte aber noch einen weiteren großen Vorteil: Es war auf diese Weise möglich, die technischen Weiterentwicklungen mit minimalem Aufwand in den 6er (der ja auf der Plattform des 5er entstand) zu übernehmen. So gesehen haben sich die Entwicklungskosten für den E28 also doch in Grenzen gehalten - schließlich konnte man auf einen Schlag gleich zwei Fahrzeugmodelle technisch überarbeiten.

Inzwischen sind wir im Jahr 1978 angekommen. Ein Nachfolgemodell für den 3er muss her.

Die Popularität der ersten 3er-Generation führt nahezu zwangsläufig zu einem schwer umsetzbaren Entwicklungsziel: Auf der einen Seite muß der Nachfolger auf den ersten Blick als neu wahrgenommen werden. Schließlich ist die Neulust das größte Verkaufsargument auf dem Neuwagenmarkt. Auf der anderen Seite muß der Nachfolger so gestaltet werden, daß die 3er-Kundschaft, die sich gerade erst mühsam vom 02 verabschiedet und an das neue Design und den anderen Charakter des "kleinen BMW" gewöhnt hat, den nächsten 3er sofort akzeptiert.

Und ein drittes Problem gibt es zu beheben: Als der E21 entwickelt wurde, hat man noch kein großes Augenmerk auf die unterschiedlichen Bedürfnisse mancher Exportmärkte gelegt.

In Südeuropa nimmt der 3er ein Marktsegment ein, das in Deutschland der 5er besetzt. Aber wer würde schon in Deutschland einen 2-türigen 5er kaufen?

Folglich hat Claus Luthe, als er den Auftrag zur Entwicklung des neuen 3er bekommt, wieder das Problem, das er schon von Audi und von der Entwicklung des 5er kennt: Ein recht starres Korsett aus Vorgaben, die aus Sach- und Marketingzwängen resultieren und Kreativität und künstlerische Entfaltung des Chefdesigners nicht gerade fördert. Um mit Claus Luthes Worten zu sprechen: Er musste sich halt auf jeden Fall gut verkaufen…

Die Forderung nach Modernisierung wurde vor allem -ähnlich wie beim E28- durch die glattere und schnörkellosere Karosserie umgesetzt. Die Seitenlinie wurde weitestgehend beibehalten, die Frontfläche - teils aus aerodynamischen Gründen, teils um optisch den Abstand zum 5er zu vergrößern - klein gehalten. Experimente mit der Frontgestaltung (so wurde zum Beispiel auch eine Variante mit Rechteckscheinwerfern entwickelt) wurden wieder verworfen, damit ein einheitliches "Markengesicht" gewahrt blieb.

Die Entwicklung des 3er lief mehrstufig ab: Aufgrund der guten Erfahrungen beim Übergang vom 02 zum ersten 3er wurde bei BMW beschlossen, den ersten 3er für begrenzte Zeit weiter zu fertigen. Zum einen als Einsteigermodell für den kontinentaleuropäischen Markt (315), zum anderen aber auch in denjenigen Exportversionen, die erheblichen Zusatzaufwand in der Entwicklung verursachen, ohne jedoch große Produktionsstückzahlen zu kommen (Rechtslenker, US-Version).

So wurde zuerst die Entwicklung der linksgelenkten Europaversion als 2-türige Limousine vorangetrieben. Nachdem diese Version konzeptionell fertig war, wurde der 4-Türer, vornehmlich für Frankreich und Südeuropa bestimmt, aus der 2-türigen Limousine abgeleitet. Dabei stand das Entwicklungs-Team vor einem großen Problem: Auf der einen Seite mußten aus Kostengründen möglichst viele Teile und Baugruppen der 2-türigen Limousine ungeändert übernommen werden. Das bedeutete vor allem, daß der Radstand ungeändert bleiben musste. Auf der anderen Seite verändern vier Türen die Proportionen in der Seitenansicht. Durch eine Verlängerung des Radstandes hätte man optisch die Proportionen wahren können und zusätzlichen Platz im Fond geschaffen, aus Produktionstechnischen Gründen schied diese Lösung allerdings wie gesagt aus. So hatte die Designabteilung viel Feinschliff im Detail zu leisten, um dem 4-Türer akzeptable Proportionen bei bezahlbaren Fertigungskosten zu bescheren.

Manchmal waren es allerdings nicht die Kosten, die zu Ergebnissen führten, die aus Sicht des Designers nicht optimal waren, manchmal gab es auch technische Restriktionen.

So waren zum Beispiel die vorderen Radausschnitte nach Claus Luthes Geschmack zu groß (bzw. je nach Betrachtungsweise das Fahrwerk vorne zu hochbeinig). Der Grund lag in Änderungen am Fahrwerk, die technisch notwendig waren (weichere Vorderachse, damit verlängerter Federweg, um dem Wagen ein neutraleres Fahrverhalten zu geben). An der Stelle mußte Claus Luthe schweren Herzens (und bereits zum zweiten Mal in seiner Karriere, beim RO80 passierte ihm schon einmal ähnliches) Design-Kompromisse zugunsten der Freude am Fahren hinnehmen.

Allerdings entwickelte die Designabteilung schnell eine Idee, wie man die Scharte zumindest in den Verkaufsprospekten und Pressefotos auswetzen konnte: Claus Luthe erinnert sich, daß man damals den Motorraum bei den Fotosessions für Presse- und Prospektfotos mit Sandsäcken beladen hat, damit der Vorderwagen niedriger lag.

Die Zeit schritt voran und BMW hatte allmählich finanziell einen soliden Stand erreicht, so daß man endlich aus dem Vollen schöpfen konnte: In der Oberklasse war der 7er stets der Klassenzweite - der gute Stern auf allen Straßen fuhr dem E23 stets uneinholbar voraus.

So fiel der Entwicklungsauftrag des Vorstandes für die zweite 7er-Generation eindeutig aus. Herbert Quandt soll es auf einen kurzen Nenner gebracht haben: "Wir müssen Daimler-Benz mit dem neuen 7er überholen!" Eine Forderung, die damals fast gotteslästerlich gewirkt haben musste - es war 1977 bereits recht gewagt, den 7er überhaupt ernsthaft gegen die S-Klasse zu positionieren.

Und jetzt musste der 7er-Nachfolger auch noch die S-Klasse übertrumpfen. Ein schweres Stück Arbeit. Und eine Gratwanderung. Denn obwohl die BMW-Designabteilung aus dem vollen schöpfen durfte, hatte man ein Problem: Der W126 war eins der konservativsten Autos, die es gab. Kunden von diesem Modell abzuwerben, fiele sicherlich am einfachsten, würde man ebenfalls ein konservatives Auto bauen.

Das wiederum hätte nicht zum Markenimage gepasst. Also beschloß Claus Luthe, einfach alles anders zu machen, als der Mitbewerber aus Stuttgart: Flacher, breiter, dynamischer, weniger barock. Imposant, aber nicht einschüchternd.

Ob aber der Vorstand den Mut hatte, mit einer völlig anderen Formensprache, die in dieser Form auch für BMW etwas völlig neues einleitete (wir erinnern uns: zum Entwicklungsbeginn waren die ersten Generationen von 3er, 5er und 6er aktuell, die neueste Neuheit des Hauses BMW war der erzkonservative, altbackene „neue“ 5er) zu folgen?

Einige schlaflose Nächte hatte Claus Luthe. Und die Befürchtung, sich mit der neuen Linie zu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben. Sicherlich, vieles wurde beibehalten. Die Doppelscheinwerfer, die Niere, die Anmutung von Chromstoßstangen, das fahrerorientierte Cockpit, die C-Säule mit Hofmeisterknick ... aber dazu kam viel neues: Die flache, geduckte Form, die breite Karosserie, die L-förmigen Rückleuchten, der freche Schwung im Heck, die Keilform - all das war komplett neu. Vor allem neu war der Versuch, in dieser Fahrzeugklasse optisch so etwas wie Sportlichkeit zu transportieren - bisher galten vor allem Werte wie Solidität und Komfort als wichtig.

Claus Luthe versuchte z.B. gegen interne Widerstände (und mit Erfolg), mit einem kleinen Knick in der hinteren Seitenlinie an einen Heckspoiler zu erinnern. Ohne aber einen Heckspoiler, der in dieser Fahrzeugklasse vulgär wirken würde, einzusetzen.

Es gab allerdings auch Probleme. Die Innenausstattung machte Sorgen. Zu groß schien der Erfahrungsvorsprung der Stuttgarter. Dort saß und passte alles "wie aus einem Guß" - mit minimalen Spaltmaßen, ohne sichtbare Befestigungselemente und mit optimaler Haptik. Vor allem die Zulieferer taten sich mit diesen Anforderungen etwas schwer, im Laufe der Entwicklungsphase konnten aber befriedigende Lösungen erarbeitet werden.

Jahre später, es muß 1983 gewesen sein, wurde das erste 1:1-Tonmodell dem Vorstand und der Werbeagentur präsentiert. Claus Luthe hatte böse Vorahnungen - der Vorstand könnte doch unmöglich so ein progressives Auto als Konkurrenten für die erzkonservativste aller Limousinen akzeptieren, oder? "Was haben wir geschwitzt", sagte er, "wir hatten uns sehr weit vorgewagt."

Das war auch die Ansicht der Werbeagentur. Der Wagen sei viel zu progressiv, die Rückleuchten gar nicht fotogen, so ein Auto könne man nicht an den Mann bringen.

Auch der Vorstand sah den Wagen und war - restlos begeistert. So begeistert, dass die Rückleuchten blieben und die Werbeagentur gehen musste.

Claus Luthes Meinung nach war der Vorstand sogar eher zu begeistert. Die Aussicht, mit diesem Auto endlich in die erste Liga aufrücken zu können, setzte ungeahnte Reserven in Sachen Selbstbewusstsein frei.

Soviel Selbstbewusstsein ging Claus Luthe doch etwas zu weit, aber dennoch kann er sich ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen, wenn er erzählt, was der Markteinführung des zweiten 7er voranging. Man verlud einen der ersten 7er - Prototypen in einen geschlossenen Transporter und begab sich auf die Reise. Zuallererst wollte man den Wagen demjenigen präsentieren, für den er bestimmt war: Dem Feind, ähm, dem Mitbewerber. Und so bekam Bruno Sacco (Claus Luthes damaliger Gegenpart in Untertürkheim) in einer Tiefgarage in Stuttgart eine kleine Privatvorführung des 7er, garniert mit den Worten „Daran werdet ihr euch messen müssen“.

Wie gesagt, Claus Luthe lächelt heute darüber, vor einem knappen Vierteljahrhundert fand er diese Präsentation weniger lustig: "Was sollte das? Die sind ja auch nicht zu uns gekommen, um uns ihre Prototypen zu zeigen." Bescheidenheit ist vielleicht etwas anderes, aber trotzdem hat man bei Daimler-Benz wohl keinen unfairen Vorteil aus dieser Vorschau gezogen - bis heute schafft die S-Klasse nicht mehr, an die Verkaufszahlen des 7er heranzukommen. Der E32 7er war sicherlich die Initialzündung für diese Entwicklung.

Bereits in den 60er Jahren warb BMW damit, Autos zu bauen, die "etwas anders" sind. Spätestens seit dem E32 war auch endgültig klar, in welcher Liga man "etwas anders" mitspielen wollte.

Also ging die Reise folgerichtig in Richtung der etwas anderen E-Klasse. Hat man beim E28 noch versucht, durch technische Werte zu punkten, im Design aber ähnlich konservativ wie die Konkurrenz zu bleiben, sollte dies beim neuen 5er (E34) gänzlich anders werden. Claus Luthe verbindet nicht viel mit dem E34. Zum einen hat er ihn nicht selbst gezeichnet (es war Jay Mays, der dem E34 sein Gesicht gegeben hat), zum anderen nahm der E34 in seiner Formensprache deutliche Anleihen beim E32 auf, so dass er nicht wirklich stilistisch eigenständig war. Aus Kostengründen wurden sogar viele E32-Teile für den E34 "weiterverwendet".

Eine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte hatte der 8er (E 31): Der damalige Technikvorstand Dr. Reitzle war, wie sollte es anders sein, ein Autonarr vom Scheitel bis zur Sohle. Und so entwarf Dr. Reitzle irgendwann die Idee zu einem Sportcoupé der Luxusklasse und machte sie dem Vorstand schmackhaft. Mit Skizzen, Grundzügen eines Lastenheftes und einem für damalige Verhältnisse atemberaubenden 800-Millionen-Entwicklungsetat "bewaffnet" tauchte Dr. Reitzle bei Claus Luthe auf: "Bauen Sie mir dieses Auto!". Es war nicht Claus Luthes Sportwagen, seinem Geschmack nach zu groß, zu schwer, zu aufwendig, aber er versuchte das Beste aus den Vorstellungen von Dr. Reitzle zu machen. Was Claus Luthe offensichtlich auch gelungen ist - sonst hätte sich der E 31 kaum 10 Jahre lang als fester Bestandteil des BMW - Programms etablieren können.

Zurück zum automobilen Mainstream: In den 80er Jahren sehr erfolgreich war ohne jeden Zweifel der Mercedes 190 (W 201) - ein Fahrzeug, dem BMW nichts "passgenaues" entgegenzusetzen hatte. Der E30 war eine Nummer kleiner und deutlich weniger kommod geraten. Auf Dauer konnte das natürlich nicht so bleiben- ein 3er, der mit dem W201 "auf Augenhöhe" war, musste her.

Viel hat sich in den vergangenen Jahren getan - der 3er durfte erwachsen werden. Das Basiskonzept war 4-türig, das 2-türige Coupé eine eigenständige, von der Limousine abgeleitete Version geworden, die technisch nahezu eigenständig war. Endlich erlaubte die finanzielle Situation solche "Parallelkonstruktionen" ohne Kompromisse bei den Fahrzeugproportionen, wie sie noch beim E30 4-Türer gemacht werden mussten. Ein internationales Designerteam fertigte gleich mehrere Entwürfe an - der Entwurf eines chinesischen Designers machte das Rennen. Allerdings fiel dieser Entwurf wohl zu progressiv aus - Claus Luthe erinnert sich, dass dieses Fahrzeug in vielen Details konservativer, europäischer umgestaltet werden musste. Beim E36 fand auch eine ganz andere Neuerung statt - erstmals seit dem Facelift der Neuen Klasse verschwanden die Scheinwerfer hinter einer Glasscheibe - ein Tribut an die Aerodynamik. Claus Luthe hätte aus ästhetischen Gründen den ebenfalls angefertigten Entwurf mit runden Doppelscheinwerfern bevorzugt, "aber so war es auch gut".

Mit dem E36 endete dann auch Claus Luthes Karriere bei BMW. Kurz vor der Vorstellung des E36 schied Luthe aus familiären Gründen, er hat im Affekt seinen Sohn Ulrich erstochen, vorzeitig in Ruhestand, stand BMW allerdings als freier Berater noch jahrelang zur Verfügung.

Bis zu seinem Tode lebte Claus Luthe zusammen mit seiner Frau Trudi zurückgezogen in München. Auf seine Weise war er BMW bis zum Schluss eng verbunden - aus seiner Wohnung hatte er nicht nur eine traumhafte Aussicht auf das Olympiastadion. Claus Luthe hatte auch die „BMW-Welt“ und die BMW-Konzernzentrale immer im Blick.