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Weltausstellung Paris, 1889: Der Daimler Stahlradwagen wird gezeigt

  • Der Zweizylinder-V-Motor ist eine wegweisende Entwicklung
  • Das Viergang-Wechselgetriebe wird zum Vorbild späterer Kraftfahrzeug-Getriebe
  • Daimler-Konstruktionen geben der französischen Automobilindustrie die Initialzündung

Im Jahr 1889 schaut die Welt auf Paris und die dortige Weltausstellung. Die größte Attraktion im doppelten Wortsinn ist der von Gustave Eiffel gebaute Turm aus Stahl-Fachwerk. Für Verzückung des Publikums sorgt aber auch die Illumination vieler Ausstellungsstände mit Hilfe elektrischer Glühlampen – damals ein Inbegriff von Modernität. Gottlieb Daimler steht da nicht zurück, er hat an seinem Stand rund dreißig Glühlampen installiert, die ihren Strom von einem „Illuminationswagen“ beziehen, einem fahrbaren Kleinkraftwerk mit Daimler-Motor und Stromgenerator. Die Glühlampen lassen ihr Licht vor allem auf ein Exponat fallen, das freilich noch nicht so recht angekommen zu sein scheint in seiner Zeit: den vierrädrigen „Stahlradwagen“.


Wilhelm Maybach, der geniale Konstrukteur an Gottlieb Daimlers Seite, entwickelte 1889 den Stahlradwagen und damit ebenfalls, wie der Benz Patent-Motorwagen, ein vom Kutschenbau gelöstes Chassis.
Foto: Daimler AG

Ihm schlägt wohlwollendes Interesse entgegen, doch als Sensation wird er von vielen Besuchern nicht empfunden. Dabei ist es gerade mal drei Jahre her, dass Gottlieb Daimler unter Mithilfe des Konstrukteurs Wilhelm Maybach das erste vierrädrige Automobil der Welt gebaut hat – eine Kutsche mit Verbrennungsmotor und Lenkvorrichtung. Ebenfalls im Jahr 1886 hatte Carl Benz seinen Patent-Motorwagen vorgestellt; auch dieser ist auf der Weltausstellung zu sehen. Das neue Daimler-Automobil wartet mit epochalen Innovationen auf: Der Stahlradwagen hat einen Zweizylinder-V-Ottomotor und ein Zahnrad-Wechselgetriebe. Der gleiche Motor sorgt auch für den Antrieb von zwei Booten, die Daimler nach Paris gebracht hat und die auf der Seine die Tauglichkeit des neuartigen Aggregats für Wasserfahrzeuge unter Beweis stellen. Insgesamt ein eindrucksvolles Aufgebot.

Die ersten Automobile im Jahr 1886 hatten gezeigt, was prinzipiell machbar ist. Doch sie hatten auch Grenzen aufgewiesen: Die Leistung des Daimler-Einzylindermotors von 1,1 PS (0,8 kW) bei 650/min reicht für viele Anwendungen nicht aus. Maybach vervielfältigt die Kraft über einen zweiten Zylinder, der in einem Winkel von 17 Grad hinzugefügt wird – der erste V-Motor der Welt entsteht. Dieser hat, wie der wegen seiner Form „Standuhr“ genannte vorherige Einzylindermotor, eine Wasserkühlung der Zylinderköpfe und die von Daimler vorerst noch favorisierte Kurvennuten-Ventilsteuerung. Der Hubraum beträgt 565 Kubikzentimeter, was für eine Leistung von zunächst 1,5 PS (1,1 kW) bei 700/min gut ist. Ein großer Vorteil des neuen Motors ist sein Leistungsgewicht: Er wiegt nur noch 40 Kilogramm pro PS, halb so viel wie sein Vorgänger. Das auf diesen Motor im Jahr 1888 erteilte Patent DRP Nr. 50839 schließt bereits eine Parallel- und eine Boxeranordnung der Zylinder ein, hängende Auslassventile sowie eine Nocken-Ventilsteuerung anstelle der Kurvennuten-Steuerung.


Weltweit der erste V2-Motor: Der Zweizylinder von Daimler feiert 1889 seine Premiere im Stahlradwagen.
Foto: Daimler AG

Der Zweizylinder-V-Motor ist der richtige Antrieb für den von Maybach initiierten, sehr elegant wirkenden Stahlradwagen, so genannt wegen seiner Eisenräder. Er ist eine völlige Neukonstruktion. Augenfällig sind die technischen Überlappungen mit dem Fahrrad, besonders in Rahmen und Fahrwerk, weshalb Maybach das Fahrzeug in seinen Aufzeichnungen auch als „Quadricycle“ bezeichnet. Rahmen und Räder des Stahlradwagens kommen von der Neckarsulmer Strickmaschinen-Fabrik AG, damals ein bekannter Fahrradproduzent, die später unter dem Namen NSU Weltruhm erlangt.

Maybach nutzt den soliden Stahlrohrrahmen des insgesamt sehr leichten Wagens zugleich als Leitungssystem für das Kühlwasser und setzt den Motor ans Heck. An der Hinterachse ist neben dem rechten Rad ein gekapseltes Kegelrad-Differenzial eingebaut, am linken Rad eine Bremstrommel mit einer durch einen Handhebel vom Fahrersitz aus zu bedienenden Bandbremse.

Schwierigkeiten macht zunächst die Lenkung – die auf ein vierrädriges Fahrzeug ausgelegte Achsschenkel-Lenkung taucht erst 1893 bei Benz auf –, weshalb in den Konstruktionsunterlagen noch der Entwurf für ein „Dreirad-Velociped“ mit lenkbarem Hinterrad zu finden ist. Dieses Dreirad verschwindet jedoch in der Schublade, nachdem das Lenkproblem beim vierrädrigen Stahlradwagen anders gelöst wird: Bei ihm sind die Vorderräder nach Fahrradart einzeln in Gabeln gelagert und durch eine Spurstange verbunden. Beim Lenken mit der Lenkstange spuren sie daher auf einem gemeinsamen Radius.

Das Viergang-Zahnrad-Wechselgetriebe

Beim Stahlradwagen nutz Maybach die Chance, das von ihm erdachte Zahnrad-Wechselgetriebe mit vier Gängen einzusetzen. Es besteht aus verschiedenen Zahnradpaaren mit gerader Verzahnung, von denen immer ein Paar im Eingriff ist. Im ersten sind 5 km/h möglich, im vierten Gang 16 km/h. Das Getriebe überzeugt in Paris auch bei einer ausgedehnten Probefahrt einen Ingenieur des Unternehmens Renault, das gerade im Vorjahr gegründet worden war. Es ist so perfekt, dass es zum Vorbild für alle späteren Kraftwagen-Zahnradgetriebe wird. Sein einziger Nachteil: Die damalige Technik kann Zahnräder noch nicht optimal härten, daher lässt die Lebensdauer noch zu wünschen übrig.


Viergang-Zahnradgetriebe mit Differentialausgleich für den "Stahlradwagen", eine Konstruktion Wilhelm Maybachs, 1889.
Foto: Daimler AG

Trotz aller Neuerungen: Dem Stahlradwagen, von dem Daimler und Maybach sich größte Aufmerksamkeit erhoffen, findet auf der Weltausstellung in Paris beim Publikum kaum Interesse. Jedoch bringt die Weltausstellung eine andere Angelegenheit mit großer Tragweite voran: Gottlieb Daimler vertieft eine Geschäftsverbindung mit Louise Sarazin, der Witwe seines langjährigen französischen Geschäftsfreundes Edouard Sarazin. Sie erhält die Lizenzrechte an Daimler-Motoren unter der Auflage, dass die Motoren den Namen „Daimler“ tragen. Das ist die Initialzündung für die französische Automobilindustrie, aber auch für die generelle Verbreitung des Automobils. Denn diese geht von Frankreich aus. Bald fahren dort mehr Automobile mit „Moteurs système Daimler“ als im Mutterland des Automobils, Deutschland, wo die Vermarktung nur eher zäh vorangeht. Außerdem macht der französische Lizenznehmer mit Motorbooten, Straßenbahnen, Draisinen, Stromaggregaten und Feuerspritzen einträgliche Geschäfte.

Louise Sarazin heiratet 1890 Emile Levassor. Dessen Unternehmen Panhard & Levassor liefert Motoren auch an andere Firmen. Größter Abnehmer ist das Familienunternehmen Peugeot, das den Stahlradwagen nach Ende der Weltausstellung kauft. Nach diesem Vorbild baut das Unternehmen eigene Automobile, bis 1906 ausschließlich ausgestattet mit Motoren von Panhard & Levassor, Lizenz Daimler. Peugeot avanciert um die Jahrhundertwende zur zeitweilig größten Automobilfabrik Frankreichs.

Der Stahlradwagen ist ein wichtiger Schritt in der Automobilgeschichte. Und der V-Motor sowieso – er bewährt sich für den Antrieb von Fahrzeugen aller Art.