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Benz & Cie. und Daimler-Motoren-Gesellschaft bilden 1924 Interessengemeinschaft

  • Zusammenschluss im Interesse des Automobils
  • Rationalisierung durch Bündelung der Aktivitäten

Sich interessieren heißt im Wortsinn des lateinischen Ursprungs: an etwas Anteil nehmen. Das trifft die Situation vor 85 Jahren gut. Am 1. Mai 1924 stimmen die Vorstände der Benz & Cie., Mannheim, und der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG), Stuttgart, der Gründung einer Interessengemeinschaft (IG) zu. Damit nehmen die beiden ältesten Automobilhersteller nicht nur Anteil an dem Schicksal des jeweils anderen, sondern schließen sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten auch im Interesse des Automobils zusammen. Denn schließlich hatten die Gründer der beiden Unternehmen, Gottlieb Daimler und Carl Benz, knapp 40 Jahre zuvor unabhängig voneinander das Automobil erfunden.

Aus wirtschaftlichen Gründen wäre der Zusammenschluss schon einige Jahre früher sinnvoll gewesen. Er war auch diskutiert worden: Der Daimler-Vorstand Ernst Berge hatte bereits 1916 versucht, den Aufsichtsrat von einer Fusion der beiden großen Automobilfabriken zu überzeugen. Doch der Daimler-Aufsichtsratsvorsitzende Alfred von Kaulla von der Württembergischen Vereinsbank, vereitelte die frühen Fusionspläne – weil er eine Einflußnahme der Hausbank von Benz & Cie, der Rheinischen Kreditbank, die von Carl Jahr geleitet wurde, der wiederum im Aufsichtsrat von Benz & Cie. saß, verhindern wollte. Diese Haltung ändert von Kaulla auch nach dem Ersten Weltkrieg nicht. Denn 1919 wagt Carl Jahr, der für die Rheinische Creditbank im Aufsichtsrat der Firma Benz sitzt, abermals und wiederum erfolglos einen Vorstoß, dass Daimler und Benz die Kräfte in der schwierigen Nachkriegszeit bündeln sollten.


Dr.Ernst Berge

Im Januar 1924 stirbt der Fusionskritiker Alfred von Kaulla. Kurz darauf legt Carl Jahr eine „Denkschrift“ vor. Darin führt er aus, wie die beiden Autohersteller durch einen Zusammenschluss ihre Konkurrenzfähigkeit sichern und die Kosten senken könnten. Nur durch eine Rationalisierung, davon ist Carl Jahr überzeugt, würden die beiden Traditionsunternehmen die wirtschaftlich und politisch turbulenten Zwanziger Jahre überleben.

Der schwierige Wiederaufbau

Der Leidensdruck ist fünf Jahre nach dem Krieg noch immer groß. „Die Umstellung auf das Friedensgeschäft erforderte viel Zeit und Opfer“, heißt es etwa in den Geschäftsberichten der DMG. „Betriebstechnisch ging es nicht allein darum, rein alles von der Kriegswirtschaft auf eine brauchbare Friedensproduktion umzustellen: man musste mit jeder Einzelheit wieder ganz vorne anfangen“, beschreibt der Biograph Paul Siebertz die schwierige Zeit des Wiederaufbaus.

Nach dem Krieg verlieren die deutschen Automobilhersteller nicht nur den Staat als Großkunden, sondern müssen auch noch zusehen, wie das Militär zahlreiche ausrangierte Wagen auf den Markt bringt. Zudem hat die Massenmotorisierung in Deutschland noch gar nicht richtig angefangen: Das Auto gilt nach wie vor als Luxusgut. Die seit 1906 erhobene Luxussteuer von 15 Prozent wird erst 1925 gesenkt. Überdies haben sich die Kraftfahrzeugsteuern nach dem Krieg vervierfacht.

Schwieriges Umfeld für Automobilhersteller

Die Unternehmen Daimler und Benz trifft darüber hinaus der Verlust der ausländischen Kunden besonders empfindlich; immerhin setzen sie vor dem Krieg mehr als die Hälfte ihrer Kraftfahrzeuge im Ausland ab. Einfach da weiterzumachen, wo man vor dem Krieg aufgehört hatte, ist gleichwohl unmöglich: Deutsche Hersteller sind direkt nach der Kapitulation nicht einmal mehr zu den Automobilausstellungen im Ausland zugelassen.

Die ausländische Konkurrenz nutzt unterdessen die Zeit, die Qualität ihrer Wagen deutlich zu verbessern und die Massenproduktion auszubauen. Während ausländische Regierungen in den wichtigsten Absatzgebieten hohe Zollschranken gegen deutsche Erzeugnisse errichten, werden vor allem in den besetzten Gebieten in Deutschland, etwa in der Pfalz und dem Ruhrgebiet, die Einfuhrzölle herabgesetzt und die Einfuhr ausländischer Autos erleichtert.

Durch die Umstellung von Kriegs- auf Friedensproduktion wächst zudem die Konkurrenz auch innerhalb Deutschlands. Viele Fabriken sehen ihr neues Heil im zivilen Automobilbau – so können sie wenigstens ihre Produktionsanlagen in Betrieb halten. Allein zwischen 1920 und 1924 nehmen 121 Firmen den Pkw-Bau neu auf; dabei könnten die Firmen Daimler und Benz allein den Bedarf an Automobilen decken. 1927, nach der ersten Konzentrationswelle der Automobilbranche, gibt es in Deutschland dann nur noch 19 Hersteller.


Dr.Alfred Kaulla

Vor allem aber ruiniert die Inflation die deutsche Wirtschaft. Durch die Geldentwertung schwindet die Kaufkraft. Wie exzessiv die Preissteigerungen sind, zeigt das Beispiel der Betriebskosten von Benz & Cie.: Im Oktober 1922 müssen rund 500 Millionen Mark dafür aufgebracht werden, ein knappes Jahr später 22 Billionen 600 Milliarden Mark. Da das deutsche Geld auch im Ausland nichts mehr wert ist, ist der Einkauf von Rohstoffen gefährdet. Die Daimler-Motoren-Gesellschaft gibt beispielsweise kurz vor der Währungsreform im November 1923 eigenes Geld heraus, um den Zahlungsverkehr aufrechterhalten zu können.

Benz & Cie. hat neben allem wirtschaftlichen Unbill auch noch mit einer ganz anderen Begleiterscheinung der Inflation zu kämpfen: Geht es der Wirtschaft schlecht, schlägt die Stunde der Spekulanten. Bei Benz heißt der Geschäftemacher Jakob Schapiro. Der aus Odessa stammende und in Berlin ansässige Händler und Karosserieproduzent kauft große Mengen Autos zu einem bestimmten Preis, bezahlt sie aber erst viel später, wenn das Geld schon wieder entwertet ist. Schapiro verdient durch diesen Trick so viel, dass er fast den Alleinverkauf der Benz-Automobile an sich ziehen und mehr als 40 Prozent der Benz-Aktien kaufen könnte. Erst im Zuge der Fusion im Jahr 1926, die er als Aufsichtsratsmitglied nach Kräften zu verhindern sucht, kann der Spekulant schließlich mit allerlei juristischen Winkelzügen zum Rückzug gezwungen werden.

Die Interessengemeinschaft

Im Jahr 1924 reden „die auf Goldwerte zurückgeführten Ziffern eine traurige Sprache“, heißt es in der Denkschrift von Benz-Aufsichtsratsmitglied Carl Jahr. Für eine Zusammenarbeit der beiden südwestdeutschen Unternehmen wird es nun höchste Zeit, damit sie wieder wettbewerbsfähig werden. Die beiden Firmen sollen „die Opfer an Geld und Gut, die sie früher brachten, um sich zu bekämpfen, künftig einer gemeinsamen Sache weihen“, fordert Jahr. „Um so mehr als sie heute dem gleichen Bankkonzern angehören.“

Denn mittlerweile hat sich auch die Bankenbranche in Deutschland konsolidiert; die Deutsche Bank ist über Zusammenschlüsse mit den Hausbanken von Daimler und Benz nun in beiden Aufsichtsräten vertreten und hat somit großes Interesse, ihre Beteiligungen zu einem großen und starken Unternehmen zu bündeln. Carl Jahr sieht dafür nur einen gangbaren Weg: „Höchste Qualitätsarbeit zu leisten und dabei doch den Betrieb so rationell zu gestalten, dass eine starke Herabsetzung der Preise eintreten kann.

In dem Interessengemeinschaftsvertrag vom 1. Mai 1924 schließen sich Daimler und Benz „unter Wahrung ihrer rechtlichen Selbständigkeit“ zusammen. Und zwar so, dass die „Verfolgung irgendwelcher wirtschaftlicher Sonderinteressen ausgeschlossen ist.“ Damit kommt die Interessengemeinschaft, die zu der Zeit ein in Deutschland übliches Kooperationsmodell war, einer Fusion recht nahe. Darauf weist auch die fast unkündbare Vertragsdauer des IG-Vertrages bis zum Jahr 2000 hin. Gegen eine Verschmelzung sprechen Mitte der Zwanziger Jahre vor allem steuerliche Gründe. Denn das Ziel ist von Anfang an die Fusion: Laut Paragraf 15 des IG-Vertrages soll die Verschmelzung angestrebt werden, „sobald die steuerlichen Verhältnisse es erlauben“.


Dr.Carl Jahr

Das Aktienkapital wird auf 600 Daimler- zu 346 Benz-Anteilen festgesetzt. Der Gewinn soll fortan nach dieser Quote geteilt werden. Als oberstes Gremium wird ein zehnköpfiger Ausschuss etabliert, dessen Vorsitz der Deutsche Bank-Direktor Emil Georg von Stauß übernimmt. Die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder werden zu stellvertretenden Mitgliedern in der jeweils anderen Gesellschaft berufen; auf diese Weise kommt Carl Benz auch in den Daimler-Aufsichtsrat.

Der Vertrag betrachtet die beiden Unternehmen als wirtschaftliche Einheit und ermächtigt die neue Leitung zu umfangreichen Eingriffen in die Unternehmensstruktur. Die Interessengemeinschaft wird verpflichtet, eine gemeinsame Programm- und Modellpolitik zu betreiben und die Dividendenpolitik zu vereinheitlichen.

Am achten Mai, also eine Woche nach der Vertragsunterzeichnung, stimmen auch die beiden Aufsichtsräte der Interessengemeinschaft zwischen Daimler und Benz zu. Ende Mai wird die Mercedes-Benz Automobil AG als gemeinsame Absatzorganisation errichtet. Im November 1924 einigen sich die Vorstände auch auf eine einheitliche Materialbeschaffung.

Bei der strategischen Ausrichtung bleibt zunächst jeder seiner Linie treu: Während der Daimler-Vorstand nach amerikanischem Vorbild rasch für die Masse produzieren möchte, sind die Benz-Oberen für eine vorsichtige Modernisierung. Die Stuttgarter beabsichtigen eine Diversifizierung in Richtung Schiffs- und Flugzeugmotoren und wollen den Konzern durch die Angliederung eines Stahlwerks und einer Kohlezeche erweitern, um schneller mit der Massenfertigung anfangen zu können.

Die Mannheimer hingegen wollen im Automobilgeschäft erst wieder konkurrenzfähig werden und statt mit einer teuren Massenfertigung zu beginnen, lieber die Serienproduktion ausbauen. Um Kosten zu senken sollen mehr Bauteile hinzugekauft und die Zahl der Typen deutlich reduziert werden. Für dieses Konzept, das sich schließlich auch durchsetzt, wirbt der Banker Carl Jahr bereits in seiner Denkschrift: Ein Werk sollte im Idealfall nur einen Wagen „und diesen exakt durchgearbeitet in möglichst großer Serie“ herausbringen.

Man einigt sich zu Beginn der Interessengemeinschaft zumindest darauf, die Typen zu vereinheitlichen und vereinfachen. Jedes Werk soll künftig nur noch einen Typ produzieren. Mannheim beginnt, die Zweiliter-Motoren zu bauen, Untertürkheim die Vier- bis Sechsliter-Motoren. Gaggenau wird Produktionsort für Lastwagen unter vier Tonnen, Marienfelde für die schwereren. Darüber hinaus sollen die Konstruktionsabteilungen zusammengelegt und der Karosseriebau auf Sindelfingen konzentriert werden. Davon verspricht sich Carl Jahr, „dass aus der Summe der Erfahrungen heraus Wagen von hoher Vollendung entstehen“.

Der IG-Ausschuss tagt gleich nach der Zustimmung der beiden Aufsichtsräte am Abend des 8. Mai. Dort entledigt sich der Ausschuss zuerst „einer Pflicht der Dankbarkeit“, wie es Biograph Paul Siebertz ausdrückt: Carl Benz und seine Frau bekommen bis zu ihrem Lebensende einen Ehrensold. Damit soll ihm, als einem der Erfinder des Automobils auf den Tag genau 25 Jahre nach der Umwandlung der Firma Benz & Co., Rheinische Gasmotorenfabrik in Benz & Cie. Rheinische Gasmotorenfabrik AG, ein sorgloser Lebensabend gesichert werden. Denn auch Carl Benz ist, wie so viele Deutsche, ein Opfer der Inflation und hatte seinen Besitz eingebüßt.