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Mercedes-Benz präsentiert im März 1970 den C 111-II

  • Ein Vierscheiben-Wankelmotor mit 257 kW Leistung sorgt für ein Spitzentempo von 300 km/h
  • Ein ganzheitliches Konzept vom Motor über Flügeltüren bis hin zur Innenreinrichtung
  • Der hoch innovative Supersportwagen dient der Erprobung von Serienkomponenten

Als Mercedes-Benz auf dem Genfer Automobil-Salon im März 1970 den C 111-II vorstellt, erfüllen sich Träume: eine atemberaubende Form, innovative Materialien und wegweisende Technik, dazu Fahrwerte im Spitzenbereich. Die Weiterentwicklung der 1969 auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt/Main mit Dreischeiben-Wankelmotor gezeigten Studie tritt in Genf mit einem bis zu 257 kW starken Vierscheiben-Drehkolbenmotor an. Der Motor vom Typ DB M950 KE409 hat Kammervolumina von jeweils 600 Kubikzentimetern, er ist die höchste Evolutionsstufe der bei Mercedes-Benz entwickelten Drehkolbenmaschinen. Der Motor gibt seine Kraft über ein Fünfganggetriebe an die Hinterräder ab, in 4,8 Sekunden beschleunigt der C 111-II aus dem Stand auf 100 km/h, seine Höchstgeschwindigkeit beträgt 300 km/h.


Zeichnung des Mercedes-Benz Forschungsfahrzeugs C 111-II mit Vierscheiben-Wankelmotor, 1970.
Abbildung: Daimler AG

In dieser Version des im orangeroten Farbton „Weißherbst“ lackierten Supersportwagens haben die Ingenieure das Mittelmotor-Coupé mit den charakteristischen Flügeltüren perfekt abgestimmt. Denn neben dem neuen Motor hat der C 111-II auch eine veränderte Karosserie erhalten. So, wie er in Genf steht, ist der Wagen viel mehr als ein Versuchträger für das neuartige, von Felix Wankel entwickelte Antriebskonzept. Vielmehr hat Mercedes-Benz seit Beginn des Projekts im Dezember 1967 einen vollwertigen Supersportwagen entwickelt, der das Zeug dazu hätte, die vom Mercedes-Benz 300 SL (Baureihe W 198) hinterlassene Lücke zu füllen. Das bestätigt auch die begeisterte Reaktion der Besucher auf dem Automobilsalon in Genf. Noch bevor das Stuttgarter Unternehmen einen möglichen Preis für den neuen Flügeltürer nennt, gehen die Bestellungen ein – teilweise schon mit Anzahlungen oder Blankoschecks.

Zu den Verbesserungen gegenüber dem C 111-I gehört die weiter optimierte Aerodynamik: Der Luftwiderstandsbeiwert liegt bei einem seinerzeit extrem niedrigen cW-Wert von 0,325. Gleichzeitig sind auch die Sichtverhältnisse für den Fahrer verbessert worden. Mit der veränderten Karosserie und dem neuen Wankelmotor, der nun ein Drehmoment von 40 mkg (392 Newtonmeter) hat, sticht der C 111-II die damals verfügbaren Supersportwagen mit Straßenzulassung aus.


Mercedes-Benz Forschungsfahrzeug C 111-II mit Vierscheiben-Wankelmotor, 1970.
Foto: Daimler AG

Zu einer Serienproduktion entschließt sich Mercedes-Benz dennoch nicht: „Der Wankel-Motor hatte noch nicht die Reife erreicht, dass man ihn hätte nach unseren Maßstäben in Kundenhand geben können“, erinnert sich im Jahr 2000 rückblickend Dr. Hans Liebold, verantwortlich für die Entwicklung des C 111 von der ersten Wankel-Studie bis hin zu den späteren Rekordfahrzeugen mit Hubkolbenmotoren. Auch die strenger werdenden Abgasvorschriften in den Vereinigten Staaten von Amerika sprechen gegen den Einsatz des Drehkolbenmotors, der zwar einen zu dieser Zeit üblichen Verbrauch hat („im Mittel 20 Liter/100 km“ nennt die Zeitschrift „auto motor und sport“ in ihrer Ausgabe vom 11. April 1970), aber durch hohe Emissionswerte auffällt. Die Ölkrise beendet kurz darauf endgültig alle hoffnungsvollen Spekulationen über die Markteinführung des Coupés.

Konstruktive Probleme des Drehkolbenprinzips, vor allem in der Motormechanik, bekommt die Entwicklungsabteilung von Mercedes-Benz bis zu diesem Punkt weitgehend in den Griff. Doch der relativ schlechte Wirkungsgrad des Wankelmotors durch die lang gestreckten, veränderlichen Brennräume des Drehkolbenprinzips lässt sich nicht mit technischen Modifikationen ausräumen: Dieses Problem ist schlicht konstruktionsbedingt, weil der Kraftstoff im Wankelmotor im Raum zwischen einer konvexen Seite des sich drehenden Kolbens und der konkaven Wand des Kolbengehäuses verbrennt statt in der zylindrischen Brennkammer eines Hubkolbenmotors. Die veränderlichen, nicht kompakten Brennräume des Wankels sorgen für eine schlechtere thermodynamische Ausnutzung des gezündeten Treibstoffs im Vergleich zum Hubkolbenmotor. Das Ergebnis ist ein höherer Verbrauch bei gleicher Leistung.


Mercedes-Benz Forschungsfahrzeug C 111-II mit Vierscheiben-Wankelmotor, 1970.
Foto: Daimler AG

Dem stehen als Vorteile eine hohe Laufruhe des Aggregats auch bei sehr sportlicher Fahrweise sowie die hoch kompakte Bauweise gegenüber. Ron Wakefield schreibt in der Fachzeitschrift „Road & Track“ im November 1969 denn auch über den C 111: „Während meiner ersten Fahrt fiel mir sofort die Ruhe des Antriebsaggregats auf. Es war viel ruhiger als beispielsweise in einem [Lamborghini] Miura mit 12-Zylinder-Motor.“ (Originaltext: „During my first ride I was immediately struck by the quietness of the power unit inside the car. It was far quieter than, say, a 12-cyl [Lamborghini] Miura“).

Rückblickend beurteilt Dr. Kurt Obländer, für das Projekt C 111 Leiter des Motorenversuchs, den Wankelantrieb so: „Unser 4-Scheiben-Motor mit Benzineinspritzung war das erreichbare Optimum dieses Triebwerkkonzeptes. Die Mehrscheiben-Ausführung verlangte zwingend den Umfangeinlass für Ansaugluft- und Abgaskanäle. Die schwierigen Probleme der Motorkühlung und der Motormechanik konnten wir technisch lösen. Das Hauptproblem des Konzepts, der schlechte thermodynamische Wirkungsgrad, blieb jedoch.“

Mehrere Details des gerade einmal 1,12 Meter flachen Sportcoupés verweisen auf die Geschichte der Supersportwagen von Mercedes-Benz: Dazu zählen die an den 300 SL erinnernden Flügeltüren und der konsequente Einsatz innovativer Antriebstechnik in einem Hochleistungsautomobil. Im Gegensatz zum 300 SL (Gitterrohrrahmen mit Stahl- und Aluminiumhaut) hat der C 111 allerdings eine Karosserie aus glasfaserverstärktem Kunststoff, die mit der stählernen Bodengruppe verklebt ist.


Drei Generationen des Mercedes-Benz Forschungsfahrzeugs C 111: C 111/II von 1970 (Mitte), C 111-I von 1969 (links) C 111/I, die erste Prototypen-Version C 111-I  (rechts).
Foto: Daimler AG

Letztlich ist der hohe Anspruch von Mercedes-Benz an die eigene Arbeit verantwortlich dafür, dass der C 111-II trotz offizieller Ankündigung als Studie und Forschungsfahrzeug solche Begehrlichkeiten beim Publikum weckt. Denn bei der Entwicklung wird der Sportwagen nie als bloßer Versuchsträger behandelt. Vielmehr widmen sich die Ingenieure über die innovativen Details von Antrieb und Karosserie hinaus der Fahrzeugabstimmung als ganzheitliches Konzept – bis hin zur Gestaltung des Innenraums, der Geräuschdämpfung und dem optimierten Fahrwerk. So vermittelt der C 111-II auf dem Automobilsalon in Genf 1970 das Gefühl eines Supersportwagens aus einem Guss – ein automobiler Traum, zum Greifen nahe.