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Rudolf Caracciola gewinnt die Mille Miglia am 13. April 1931

  • Sieg auf Mercedes-Benz SSKL als erster ausländischer Fahrer
  • Geschwindigkeitsrekord: Erstmals liegt das Durchschnitts­tempo über 100 km/h
  • 21 Jahre nach seinem Sieg kommt Caracciola noch einmal auf Platz 4 der Mille Miglia

Was für ein Triumph: Im April 1931 gewinnt Rudolf Caracciola als erster nicht-italienischer Fahrer das berühmte Straßenrennen Mille Miglia. Zusammen mit seinem Beifahrer Wilhelm Sebastian siegt der Mercedes-Benz Werksfahrer in dem Rennen, das vom 12. auf den 13. April 1931 über eine Distanz von 1635 Kilometer ausgetragen wird, auf einem Mercedes-Benz Rennsportwagen Typ SSKL (W 06 RS).


Mercedes-Benz Typ SSKL 27/240/300 PS Sportwagen (Baureihe W 06), 1931
Foto: Daimler AG

Caracciola erzielt in dem Rennen von Brescia nach Rom und zurück eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 101,1 km/h. Damit geht nicht nur zum ersten Mal der Sieg in dem traditionell von italienischen Piloten dominierten Rennen an einen Ausländer auf einem ausländischen Wagen, sondern zum ersten Mal erreicht außerdem ein Fahrer eine Durchschnittsgeschwindigkeit, die über 100 km/h liegt. Der Mercedes-Benz Fahrer erhält für seinen Sieg die Goldmedaille des Königs von Italien und den Pokal des Automobil-Clubs von Deutschland.

Drei Jahre später beschreibt Caracciola diese Mille Miglia in seiner ersten Autobiografie „Rennen – Siege – Rekorde“ und zeigt sich noch immer tief beeindruckt von dem Rennen: „1600 Kilometer auf staubigen Landstraßen, an Schluchten und Abgründen vorbei … durch scheußliche Korkenzieherkurven und Serpentinen; durch Städte und Dörfer und wieder über lattengerade Straßen mit 150, 160, 170 Kilometer Durchschnitt … eine Nacht und wieder einen Tag lang.“


Start zu den „Mille Miglia“, dem 1000-Meilen-Rennen von Brescia, 12. und 13. April 1931. Seine Exzellenz Turatti gibt das Startzeichen für Rudolf Caracciola und Beifahrer Wilhelm Sebastian auf Mercedes-Benz Typ SSKL Rennsportwagen (Baureihe W 06 RS) mit der Startnummer 87. Caracciolas Ehefrau Charly ist im Bild rechts am Wagen zu sehen
Foto: Daimler AG

Die Vorteile der italienischen Fahrer scheinen zu überwiegen: Die Piloten kennen die Strecke, und da einige Fabrikate mit fast 50 Fahrzeugen an den Start gehen, sind für sie zahlreiche Depots mit Mechanikern entlang der Strecke postiert. Solche Mittel kann Mercedes-Benz zu dieser Zeit nicht aufbieten: Caracciola muss sogar als Privatteam antreten, das lediglich vom Werk unterstützt wird. Denn mit dem offiziellen Rennstall können die Stuttgarter im Jahr 1931 wegen der Auswirkungen der internationalen Wirtschaftskrise nicht mehr in Italien antreten.


Am Passo della Raticosa
Foto: Daimler AG

Doch Caracciola nimmt die Herausforderung an: „Sechzehn Stunden saß ich hinter dem Lenkrad, sechzehn Stunden lang donnerten wir längs und quer durch Italien, tasteten wir uns am Strahlenbündel des Scheinwerfers durch die Nacht, fuhren hinein in die blendende Grelle des Frühlingstags.“ Die Ungewissheit begleitet das Rennen: Wo liegt der Mercedes-Benz im Feld der mehr als 100 Fahrer? Caracciola weiß auch auf der letzten Etappe nicht, dass Tazio Nuvolari bereits ausgeschieden ist, und dass er Giuseppe Campari überholt hat.

Im Ziel dann empfängt ihn der ausgelassene Mercedes-Benz Rennleiter Alfred Neubauer mit der Siegesnachricht: „Neubauer ist ganz aus dem Häuschen, führt einen komplett wahnsinnigen Indianertanz auf. Was wird hier eigentlich gespielt ...? Ich begreife nicht ... noch nicht ... aber dann dämmert’s: Ich habe die Tausend Meilen gewonnen – das erste und bis heute [1934] einzige Mal, dass ein Ausländer mit einem ausländischen Wagen Sieger wurde.“


Der Sieger Rudolf Caracciola mit Beifahrer Wilhelm Sebastian (Startnummer 87) am Ziel auf Mercedes-Benz Typ SSKL Rennsportwagen (Baureihe W 06 RS). Zum ersten Mal wurde damit ein Ausländer Gesamtsieger dieses berühmten italienischen Rennens
Foto: Daimler AG

Die Tortur lohnt sich, am Ende steht der Sieg in der Gesamtwertung. Die Fans und Fachleute sind überwältigt von dem Sieg des deutschen Piloten über seine erfahrenen italienischen Konkurrenten. Doch ganz ohne Streckenerfahrung ist auch Caracciola 1931 nicht an den Start gegangen. Im Jahr zuvor hat er schließlich – mit Christian Werner als Beifahrer – bereits einen Klassensieg bei der Mille Miglia erzielt (6. Platz in der Gesamtwertung). Diesen Erfolg von 1930 erreicht er noch auf dem Typ SSK.

Der 1931 eingesetzte Mercedes-Benz Typ SSKL (das Kürzel steht für „Super-Sport-Kurz-Leicht“) ist die letzte Stufe in der Entwicklung der Sechszylinder-Kompressor-Sportwagen von Mercedes-Benz. Der SSKL wird nur als Rennsport-Zweisitzer gebaut. Sein Reihensechszylindermotor leistet aus 7 Litern Hubraum 240 PS (177 kW) ohne und 300 PS (221 kW) mit Kompressor. Die Höchstgeschwindigkeit des Wagens liegt bei bis zu 235 km/h. Der SSKL zeigt sich nicht nur in Italien schlagkräftig: Caracciola gewinnt auf diesem Fahrzeug 1931 auch das Eifelrennen, den Großen Preis von Deutschland und das Avus-Rennen. Mit fünf Siegen bei fünf Starts wiederholt er auch seinen Titelgewinn als Europa-Bergmeister bei den Sportwagen.

Das Rennen: Die „Tausend Meilen“ von Italien

Mille Miglia – die „Tausend Meilen“ von Italien: Dieses Rennen gehört in der Mitte des 20. Jahrhunderts zu den großen Wettbewerben des europäischen Automobilsports. Ausgetragen wird dieser Langstreckenwettbewerb von 1927 bis 1957. Doch die Geschichte der Mille Miglia mit Start und Ziel in Brescia beginnt schon früher – und sie reicht bis in die Gegenwart. Denn ein erstes Automobilrennen auf der Strecke Brescia–Cremona–Mantua–Brescia findet bereits am 11. September 1899 statt – man könnte es als Ursprung der Mille Miglia bezeichnen.

Die eigentliche Geburtsstunde der Mille Miglia ist das Jahr 1927. Ein Gruppe begeisterter Automobilisten aus dem Großraum Brescia, ein Langstreckenrennen mit Wendepunkt in Rom auszurichten, die Gesamtstrecke soll 1000 Meilen betragen. Bei der ersten Auflage des Rennens starten am 26. März 1927 insgesamt 77 Fahrer – allesamt aus Italien. Das Auftaktrennen gewinnt Ferdinando Minoia, darauf folgen zwei Siege von Giuseppe Campari und ein Gewinn von Tazio Nuvolari im Jahr 1930. Campari und Nuvolari werden 1931 starke Konkurrenten Caracciolas sein.

Das neue Rennen weckt schnell eine große Aufmerksamkeit im vom rennsportbegeisterten Europa. Und so nimmt auch Mercedes-Benz mit seinen leistungsstarken Kompressor-Wagen vom Jahr 1930 an teil. Rudolf Caracciola belegt vom 12. auf den 13. April 1930 am Steuer eines Mercedes-Benz SSK den 6. Platz in der Gesamtwertung und gewinnt seine Klassenwertung. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt 92,8 km/h. Dann folgt 1931 sein epochaler Sieg.


Rudolf Caracciola
Foto: Daimler AG

Nach dem Zweiten Weltkrieg – und einer Pause vom Rennsport für Mercedes-Benz seit 1939 – fährt Rudolf Caracciola die Mille Miglia noch ein letztes Mal, diesmal auf Mercedes-Benz 300 SL – er kommt auf Platz 4 ins Ziel. Das Duo Karl Kling / Hans Klenk belegt den zweiten Platz – ein beeindruckender Erfolg gleich beim ersten Renneinsatz des neuen 300 SL Rennsportwagens (W 194). Caracciola ist begeistert vom technischen Fortschritt, der zwischen dem SSKL des Jahres 1931 und dem 300 SL von 1952 liegt: „Ich bin überglücklich, dass ich trotz zwölf Jahren Unterbrechung ein Tausend-Meilen-Rennen fahre, ohne Müdigkeit zu spüren. Der Wagen fährt sich so leicht. Die Lenkung ist sanft und präzis. In einem so luxuriösen Sportwagen Rennen fahren, das ist eine feine Sache ... Wenn ich an das schlagende, tanzende Lenkrad meines 2000 Kilo schweren Mercedes-Sportwagens denke, mit dem ich das Tausend-Meilen-Rennen 1931 gewann, auf steinigen, staubigen Straßen, du liebe Zeit, ist das ein Unterschied. Da merkt man erst, wie groß die Fortschritte im Automobilbau sind.“

Der große Sieg für die Stuttgarter bei der Mille Miglia in dieser Epoche geht aber nicht auf das Konto von Caracciola, sondern wird drei Jahre später von dem Briten Stirling Moss erzielt: Im Mai 1955 gewinnen Moss und sein Kopilot Denis Jenkinson auf Mercedes-Benz 300 SLR das italienische Marathon-Rennen mit der bis heute gültigen schnellsten Durchschnittsgeschwindigkeit von 157,65 km/h vor ihrem Teamkollegen Juan Manuel Fangio, der rund eine halbe Stunde später als Zweiter ins Ziel kommt, ebenfalls mit einem Mercedes-Benz 300 SLR.

Infolge schwerer Unfälle wird die Mille Miglia als Straßenrennen nach der Saison 1957 aufgegeben. Die heutige Veranstaltung unter gleichem Namen findet seit 1977 als Gleichmäßigkeitsfahrt für historische Fahrzeuge statt. Sie steht nur solchen Wagen offen, deren Typ in der Geschichte des Rennens bis 1957 an den Start gegangen ist. Entsprechend stark ist die Präsenz von Mercedes-Benz mit Rennsport-, Sport- und Tourenwagen aus verschiedenen Epochen. Aber auch der Typ 180 D ist schon bei der „Mille Miglia Storica“ an den Start gegangen, schließlich gehört der Diesel-Pkw im Jahr 1955 zu den erfolgreichen Teilnehmern des harten Straßenrennens und holt die Klassenwertung der Diesel-Klasse.