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Benz RH 2-l-Tropfenform-Rennwagen: Mittelmotor-Rennpremiere in futuristischer Form

  • Erster Mittelmotorrennwagen der Geschichte
  • Wichtiger Wegbereiter der modernen Automobilaerodynamik
  • Premiere der hinteren Einzelradaufhängung mit Zweigelenk-Pendelachse im Rennsport
  • Motorsportdebüt am 9. September 1923 in Monza beim Großen Preis von Europa

Nicht das Siegerfahrzeug sorgt für eine Sensation im Großen Preis von Europa: Es sind die auf den Plätzen 4 und 5 ins Ziel kommenden Benz RH 2-l-Tropfenform-Rennwagen. Die Abkürzung steht für „Rennwagen Heck“. Die für das damalige Publikum futuristisch anmutenden Konstruktionen erleben im Rennen am 9. September 1923 in Monza, Italien, ihre Wettbewerbspremiere. Diese ersten Mittelmotorrennwagen der Automobilgeschichte sind nach damaligem Technikstand zugleich konsequent aerodynamisch optimiert. Das unterscheidet sie grundlegend von herkömmlichen Wettbewerbsfahrzeugen der Epoche.


Benz RH 2-l-Tropfenform-Rennwagen, Foto vom Großen Preis von Europa in Monza am 9. September 1923. Am Steuer Ferdinando Minoia, der später Platz 4 belegt.
Foto: Daimler AG

Ferdinando Minoia (Startnummer 1) kommt mit einem der neuartigen Rennwagen auf Platz 4 ins Ziel, gefolgt von seinem Teamkollegen Franz Hörner (Startnummer 7) auf Position 5. Ein dritter Benz RH 2-l-Tropfenform-Rennwagen mit Willy Walb (Startnummer 13) fällt aus. Das Rennen gewinnt Carlo Salamo mit einem Fiat. Die für Benz & Cie. wohl wichtigste Auszeichnung bekommt seinerzeit kein Rennfahrer, sondern Max Wagner: Der Konstrukteur des Mannheimer Herstellers erhält einen Ehrenpreis für die wegweisende Entwicklung des Tropfenform-Rennwagens. Damit würdigen die Organisatoren des Großen Preises von Europa die Relevanz dieses Benz-Fahrzeugs als Gamechanger der Rennwagentechnik.

Meilenstein der Automobil-Aerodynamik

Die Vorgeschichte des Benz RH 2-l-Tropfenform-Rennwagens beginnt zwei Jahre zuvor auf der Deutschen Automobil-Ausstellung in Berlin (23. September bis 2. Oktober 1921). Dort beeindruckt Dr. Hans Nibel, Entwicklungsvorstand von Benz & Cie., und seinen Konstrukteur Max Wagner der „Tropfenwagen“ von Edmund Rumpler. Mit Mittelmotor und einer im Windkanal aerodynamisch optimierten Karosserie in Tropfenform ist dieser Personenwagen technisch wegweisend, der Markterfolg bleibt ihm freilich verwehrt. Nibel und Wagner erkennen das Potenzial für die Entwicklung neuer Fahrzeuge: Benz schließt einen Lizenzvertrag mit Rumpler und erhält einen offenen Tropfenwagen einschließlich dazugehörender Zeichnungssätze. Das Unternehmen entwickelt die Konstruktion weiter. Der Motorsport ist Erprobungsfeld für das neue Fahrzeugkonzept: 1922 entstehen vier Tropfenform-Rennwagen. Ein weiteres Novum: Hinten führt eine Zweigelenk-Pendelachse die Räder.


Rumpler-Tropfenwagen mit Benz-Signet. Foto aus dem Jahr 1921.
Foto: Daimler AG

Flugmotorentechnik und skulpturaler Kühler

Als Antrieb dient ein von Dr. Arthur Berger entwickelter, 90 PS starker, Reihensechszylindermotor mit 1.997 Kubikzentimetern Hubraum und zwei oben liegenden Nockenwellen. Seine Konstruktion entspricht der des Benz Kaiserpreis-Flugmotors von 1912. Fortschrittlich sind auch zwei Zenith-Horizontalvergaser sowie eine siebenfach rollengelagerte Kurbelwelle. Längs- und Querträger des Rahmens, Pedale, Lenkradspeichen, Schalthebel und Vorderachse erhalten zahlreiche Erleichterungsbohrungen. Nach der Fusion von Benz & Cie. mit der DMG zur Daimler-Benz AG mit der Marke Mercedes-Benz im Jahr 1926 ist dieses Merkmal konsequenten Leichtbaus unter anderem beim Kompressorsportwagen SSKL zu finden, dessen Chassis ebenfalls Max Wagner verantwortet.


Benz RH 2-l-Tropfenform-Rennwagen. Foto eines Prototyps aus dem Jahr 1922.
Foto: Daimler AG

Für den Betrachter unterscheidet sich der Benz-Rennwagen von außen neben seiner Stromlinienform und der mittigen Motorplatzierung von traditionellen Fahrzeugentwürfen unter anderem durch den Kühler. Dieser ist gebogen und sitzt hinter dem Cockpit auf der Karosserie. Obenauf thront wie eine Skulptur der Schnelligkeit ein tropfenförmiges Sammelgefäß. Für den ersten Einsatz beim Großen Preis von Europa am 9. September 1923 in Monza erhalten die Fahrzeuge rechts vom Cockpit noch einen kleineren Zusatzkühler.

Vom Renn- zum Sportwagen

Nach der aufsehenerregenden Premiere im Großen Preis von Europa 1923 in Monza starten die Benz Tropfenform-Rennwagen im Folgejahr bei weiteren Wettbewerben. Siege erringen die innovativen Fahrzeuge nicht – beispielsweise, weil parallel zu ihrer Entwicklung in anderen Fahrzeugen der Kompressormotor seinen Siegeszug antritt. Etwa bei der konkurrierenden Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) und in deren Mercedes 2-Liter-Kompressorrennwagen, konstruiert von Entwicklungsvorstand Ferdinand Porsche. Dieses Fahrzeug ist mit 126 PS aus einem Hubraum von 1.989 Kubikzentimetern erheblich leistungsstärker und schneller. Benz fehlt die Finanzkraft für die Weiterentwicklung des wegweisenden Tropfenform-Rennwagens mit Kompressormotor. Und bleibt doch dran: Ende 1924 kreiert das Unternehmen einen Sportwagen, der keine spezielle Bezeichnung trägt. Er hat eine deutlich andere Karosserie. Unter anderem integrieren die Konstrukteure zwei Scheinwerfer, verlagern den Tank von der Front ins Heck und ergänzen Spritzschutzelemente. Erfolgreiche Fahrer damit sind der Werksrennfahrer Willy Walb sowie die Privatfahrer Adolf Rosenberger und Carl Hermann Tilger.


Benz RH 2-l-Tropfenform-Rennwagen in der Sportwagenausführung von 1924. Am Steuer Benz-Werksfahrer Willy Walb. Auffallend ist der in drei Ebenen aufgeteilte vordere Kotflügel.
Foto: Daimler AG

Rennwagentechnik nach 1926

Nach der Fusion von Benz & Cie. und der Daimler-Motoren-Gesellschaft im Jahr 1926 zur Daimler-Benz AG setzt Porsche dort die Arbeit an den Tropfenform-Rennwagen nicht weiter. Allerdings verfolgt er nach seinem Ausscheiden im Jahr 1928 ähnliche Konzepte bei der Auto Union. Deren Mittelmotorrennwagen mit Sechzehnzylindermotor sind die schärfsten Konkurrenten der Silberpfeile von Mercedes-Benz ab 1934. Mercedes-Benz Rennfahrer Rudolf Caracciola gewinnt 1935, 1937 und 1938 den Europameistertitel, vom internationalen Rang her vergleichbar mit den Weltmeisterschaftstiteln der späteren Formel 1. Sein Teamkollege Hermann Lang wird 1939 Europameister. Einzig 1936 geht die Meisterschaft an Auto-Union-Fahrer Bernd Rosemeyer. 1934 wird der Europameistertitel noch nicht vergeben. In der Formel 1 hält das Prinzip der Mittelmotorrennwagen Ende der 1950er-Jahre Einzug.