Logo

autonova fam ...

... und was GLAS mit diesem Familien-Van zu tun hat.

So einfach, so plausibel. Könnte jeder drauf kommen, oder? Im Nachhinein lässt es sich leicht clever sein. 1965 stand auf der IAA der erste Familien-Van - und keiner hatte es gemerkt.

Er gilt als Meister des leichten Worts und der profunden Erkenntnis, er kann Sinn und Schönheit finden, wo andere nur Testergebnisse runterleierten. Wenn Fritz B. Busch ein Auto fuhr, stand nachher eine Ode in der Zeitung. Busch entwickelte das sonst eher profane Autotesten zu einer Kunstform; seine Tests für "auto motor & sport" und "stern" waren nicht nur einflußreich, sie sind bis heute genussvolle Lektüre, voll verblüffender Bilder und höchst menschlicher Einsichten. Als Tester war er nicht zuletzt deswegen so ungewöhnlich, weil ihm vor allem das menschliche Maß am Herzen liegt.

So konnte er Automobile, die er für verfehlt hielt, mit einem journalistischen Feldzug überziehen oder sich herzhaft über verfehltes Handeln auslassen. "Was sind nicht schon für Autos gekauft worden, nur weil sie einen guten Wiederverkaufswert haben! Millionen Autos, die zu eng, zu unpraktisch, schlecht belüftbar und schlecht beheizbar sind. Die Karosserie voll guter Einfälle ist in unserem Land so rar geworden, weil unsere Käufer keine Einfälle mehr haben. Sie verlangen nichts von ihrem Auto, außer, dass es einen hohen Wiederverkaufswert und Prestige hat. Als möglichst gute Lösung des Problems Raum auf Rädern betrachten sie es nicht. Das ist sehr schade" (nachzulesen in "Einer hupt immer", einer Sammlung schöner Geschichten ums Auto).

Lauter alte Hüte

Fritz B. Busch konnte noch deutlicher werden. Lauter alte Hüte! stand über einer Kolumne, die er für die "Münchener Abendzeitung" vom 15. September 1965 schrieb. Thema war die aktuell laufende IAA, nach einem deftigen Verriss der Exponate bemerkte er,"dass unsere Karosserien endlich fortschreiten müssten, nicht, indem man mit dem Zeichenstift an ihnen herumkritzelt, sondern indem man sie umkrempelt. Unsere Autos kommen einfach nicht davon los, wie Pralinenschachteln auszusehen, an die man Räder geschraubt hat. Es gibt feine Lösungen für geräumige Limousinen. Aus der Industrie bekam ich zu hören, ich solle es doch besser machen. Das war der Zündfunke."

Auf derselben Seite der erwähnten AZ-Ausgabe war er ein zweites Mal abgebildet, neben einem Objekt, das viele Leser damals nur deshalb als Auto identifizieren konnten, weil es Scheinwerfer und Räder mit Gummireifen hatte. Heute würde jeder Leser einer Provinz-Gratiszeitung das Ding mit einem Blick als Auto erkennen, selbst wenn er den Gattungsnamen MPV oder Multi Purpose Vehicle nicht im Wortschatz hat. Denn wie das Objekt, dem Fritz B. Busch auf diesem Foto die Hand auf die Tür legt, sehen Autos heute aus.

Die Ulmer Connection

Zu der Zeit wohnte er bereits im Allgäu, Ulm ist nicht weit, und dort operierte seit 1953 die Hochschule für Gestaltung. Dieses Institut erwarb sich in den kurzen 15 Jahren seiner Existenz einen fabelhaften Ruf, der bis heute von Dauer ist. Die HfG widmete sich vornehmlich der Gestaltung alltäglicher Dinge und stand dabei in der Tradition vom Bauhaus und Le Corbusier. Zwei Absolventen hatten Buschs Feldzug gegen das Dreibox-Prinzip verfolgt und nahmen 1964 Kontakt auf: "Die zwei, Pio Manzù und Michael Conrad, waren der Ansicht, dass ich in die richtige Richtung dachte und brachten selber ein paar Ideen mit. Wir setzten uns zusammen und beschlossen: Wir bauen's!"

Das Trio gab sich programmatisch den Namen autonova und ging ans Werk. Manzù und Conrad stellten sich an die Zeichentafel, Busch begann, seine vielfältigen Kontakte spielen zu lassen. Die brauchte es, denn das Auto sollte 1965 auf der IAA stehen, und zwar fahrfertig, nicht nur als Pappmachémodell. Ein erster Kontakt führte ihn zum Reifenhersteller Veith-Pirelli. Zwar fiel die Konstruktion eines Autos nicht direkt in dessen Kompetenz, doch das Management fand die Idee inspiriert genug, um deren Potential zu erkennen. Pirelli finanzierte das Projekt.

GLAS in Dingolfing war der nächste Ansprechpartner. Die Marke war noch immer ein Familienbetrieb und konstruierte so besessen wie begnadet gegen die Übermacht der Etablierten an. Dort holte sich Busch den Motor vom 1304, der - laut autonova-Prospekt - eine "gedrosselte und im Drehmoment gekräftigte Variante" werden sollte. Gekoppelt war dieser Motor mit der genialen elektro-hydraulischen Getriebeautomatik, die gerade (unter der Leitung von Heinrich Dick) für die 1700er-Limousine zur Serienreife wuchs. Auch für die Bodengruppe samt Achsen war GLAS der Lieferant. Es spricht einiges dafür, dass für die hinteren Federbeine (System Boge-Hydromat) die Hinterachse des GLAS V8, der ja auf gleicher IAA vorgestellt wurde, Pate gestanden hat. Dieses System "sorgt bei jeder Belastung zwischen Leerfahrt und Volllast für optimalen Federungskomfort und Fahrsicherheit". Die kleine Turiner Karosserieschmiede Sibona & Basano erhielt den Auftrag, den Prototypen herzustellen. Der Kompaktwagen, ein "Auto für den Verstand", bekam den Namen fam, was für "kleiner Familienwagen" steht. Um auch gleich die Taxibranche anzusprechen, wurde der Wagen im Taxifarbton RAL 1015 lackiert. Und damit zog autonova auf die IAA. Präsentiert wurde der fam auf dem Stand der Reifenfirma Veith-Pirelli.

Ein Auto wie kein anderes

Es war ein mutiges Projekt, ein schlaues sowieso. Der autonova fam ignorierte die Konventionen der Zeit aufs Wonnevollste: Er hat weder eine eindrucksvolle Schnauze noch einen raumgreifenden Hintern, die Sitzposition ist aufrecht und hoch, kein Fitzelchen Chrom blinkt, nicht einmal an den Stoßstangen. Die sind aus Kunststoff, die plane Bodenwanne besteht aus GFK. Der Innenraum ist auf maximale Wandelbarkeit ausgelegt: Die Rückbank lässt sich umlegen, der Beifahrersitz zu einem flachen Bett kurbeln, die Heckklappe ist waagerecht zweigeteilt.

Technisch ist der Wagen genauso klug gemacht wie im Raumkonzept: Die Lenkung funktioniert nach einem ausgeklügelten System, ein Patent des Ingenieurs Großbach, das bei zunehmendem Einschlag immer indirekter wird. Damit lässt sich ohne das übliche Kurbeln einparken, auf einen präzisen Mittelbereich muss man dennoch nicht verzichten. Der maximale Lenkausschlag beträgt also nur 270 Grad, weshalb man das Lenkrad durch einen Bügel ersetzen kann - man muss ja nicht mehr kurbeln, sondern nur noch einschlagen.

Die Innenraumbelüftung folgt einem neuartigen System, der Lufteintritt liegt oberhalb der Windschutzscheibe. Er sorgt für bessere Frischluftqualität als niedriger sitzende Zuluftkanäle und für gleichmäßige, zugfreie Verteilung. Von Recaro kamen speziell für dieses Auto entworfene Sitze, von VDO der kleine Instrumententräger, der auch alle Bedienfunktionen zusammenfassen sollte. So wurde er auch in den Prospekten abgebildet. Allerdings war er nicht funktionsfähig. Als der fam zugelassen werden sollte, musste die geplante Tacho-Einheit durch die vom GLAS 1700 ersetzt werden.

20 Jahre zu früh

Autonova kam 20 Jahre zu früh. Zwar drängelte sich während der gesamten IAA das Publikum um den fam, aber es war, als sähen sie einem balinesischen Tempeltanz zu: Wer genau aufpasste, konnte sich zwar in einzelnen Brocken zusammenbuchstabieren, was da gezeigt wurde, aber seine Bedeutung als Gesamtkonzept erfasste kaum einer. Zu schockierend nüchtern war die "Konkret-Linie" der Karosserie, allzu bar jeglicher Wuchtigkeit, zu kühl seine Funktionalität.

Und dann stand der Wagen auch noch bei einem Reifenproduzenten. Trotzdem: "Wir waren die Sensation der IAA", sagt Fritz B. Busch. Und während das Publikum staunte, dämmerte so manchem Fachkollegen, dass hier die Zukunft stehen könnte. Der Münchner Merkur legte den drei Revolutionären eine Kampfansage an die Industrie in den Mund: "Sie sagen: Was ihr macht, ist antiquiert. Wir bauen das Auto von heute, ihr das von gestern. Kann das gut gehen? Wird man mit diesen Leuten überhaupt noch reden, werden sie nicht platt gewalzt werden vom Gewicht der Konzerne?"

Eisiges Schweigen

Der Rezensent der Hannoverschen Allgemeinen schlich um den fam wie ein Priester um die Sünde: Er konnte sich der eigenartigen Plausibilität dieses Autos nicht entziehen, beteuerte aber in jedem Absatz, die ganze Sache sei völlig absurd: "Ein Wagen ohne Schein" sei dies, der "dem gegenwärtigen Publikumsgeschmack und dem Bedürfnis nach Prestige überhaupt nicht Rechnung" trage. Das Äußere der "verglasten Kiste" wirke zusammengedrückt, innen hingegen habe man erstaunlich viel Platz und eine "phänomenale Rundumsicht". Fazit trotzdem: Nein danke!

Und Paul Simsa schrieb in mot 20/65: "Und die Form ist zwar funktionell und glatt, aber mit eiskaltem Stift gezeichnet. Wie bei allen solchen Studien liegt der Gewinn eher im Detail als im ganzen: die Lenkung, Kunststoffteile für Boden, Bug und Heck und dergleichen Dinge sind beachtenswert. Negativ beachtenswert ist es, wie bedenkenlos auf dies hohe Auto auch noch ein Dachgepäckträger gesetzt wird." Das Hamburger Abendblatt zitierte Fritz B. Busch: "Hier liegt ein Bombengeschäft herum, und keiner hebt es auf." In der Tat. Diejenigen, die den fam in die Serie hätten führen können, schlugen den jungen Männern von autonova eisiges Schweigen um die Ohren. Sie kamen zwar, sie guckten und nickten vielleicht sogar verständig, und am Abend auf den Partys und Empfängen ihrer Häuser belegten sie den fam mit dem Bannstrahl. "Nach der IAA hab ich noch ein Jahr lang gekämpft und es dann aufgegeben", sagt Busch.

Auch GLAS zeigte sich nicht interessiert (oder lag's am Geld?), diese mutige Idee aufzugreifen und sich um die Weiterentwicklung des Wagens zu kümmern. Das Auto der Vernunft hätte ein Mutterhaus gebraucht, das ebenso rational verfährt, wie der fam konstruiert war. Doch über den eigenen Schatten zu springen ist (war) schwer. Im AutoBild-Klassik-Interview (Heft 1/09) äußert sich Fritz B. Busch rückblickend: "Der fam war historisch der erste wirkliche Van. Da war schon alles dran und drin, was einen heutigen Van auszeichnet, fünf Türen und vielseitig wandelbare Sitze zum Beispiel. Aber er kam zu früh, die Welt verstand ihn noch nicht. Die Käufer wollten in Chrom schwelgen und Krönchen im Sitzpolster. Man darf seiner Zeit eben nie zu weit voraus sein."

Gespenstischer Einfluß aus dem Museum

Auch mehr als 40 Jahre später ist das Phänomen autonova fam schwer zu fassen. Den Spätgeborenen ist immerhin begreiflich, welche Nische er auftat - eine Nische, so groß, dass sie ein eigenes Echo hat. Der fam wanderte ins Museum, er ist heute ausgestellt in der Neuen Pinakothek der Moderne in München.

Im Museum kann das unbequeme Ding keinen Schaden anrichten - oder doch? In den 20 Jahren nach dem fam entfaltete es einen fast gespenstischen Einfluss: Stoßstangen saugten sich langsam an Autokörper und mutierten zu Plastikelementen, die Nasen wurden flacher, der Chromglanz schwand dahin. Fritz B. Busch sah zu, wie die Industrie Stückchen für Stückchen seine Ideen aufnahm.

Mitte der 80er Jahre kamen auf einen Schlag Honda, Mitsubishi, Nissan und sogar Chrysler mit hoch gesetzten Dächern, steilen Sitzen und großen Glasflächen. Aber am konsequentesten setzte der Renault Espace die Idee um. Er hatte die schrägste Nase und das steilste Heck seit jenem unscheinbaren Prototyp, der 20 Jahre vorher das IAA-Publikum verwirrt hatte.

Der Autonova FAM ist ein Experiment
Farbe blau, Format A5 / 4, asymetrisch gefaltet, Prospekt über den Autonova-FAM mit GLAS-Motor, Getriebe und Achsen, #CIX-65
Michael Conrad, Pio Manzu und Fritz B. Busch entwickelten 1965 ein völlig neues Fahrzeugkonzept, ein "Auto für den Verstand" mit dem Ziel einer bestmöglichen Raumausnutzung, konsequent funktionell, zweckmäßig und schnörkellos: Den "Autonova Fam", erstmalig vorgestellt auf der IAA in Frankfurt 1965 - mit Technik von GLAS, der High-Tech, die damals greifbar war. Der Autonova steht heute in der "Pinakothek der Moderne", München, Ausstellung über Fahrzeug- und Industrie-Design.


 

autonova fam - Technische Details (aus dem Prospekt)

  • Bodenwanne, Stoßbug und Heck des Wagens bestehen aus glasfaserverstärktem Polyester. Schlagfest, frei von Korrosion, nicht Streusalz gefährdet, und somit vollkommen wartungsfrei.
  • Große Fensterflächen für ungehinderte Rundumsicht, hohe Windschutzscheibe, damit auch Verkehrsampeln leicht zu sehen sind.
  • Vier bequeme Türen und eine horizontal geteilte Heckklappe, deren unterer Teil als zusätzliche Ladefläche benutzt werden kann, erleichtern Einstieg und Beladung des Wagens. Das Nummernschild schwenkt selbsttätig in die vorgeschriebene Sichtposition an der Hecktür.
  • Die Belüftung des Innenraums wird durch ein neuartiges Schlitzrohr-System (Patent Hechler) reguliert. Der Frischluft-Eintritt ist an der Windschutzscheiben-Oberkante, also in einem Bereich, in dem die Luft nicht so stark verschmutzt und vergast ist.
  • Vielseitig variierbare Innen-Einrichtung löst die unterschiedlichsten Transport-Aufgaben.
  • Dachgepäckbrücke ist organisch angefügt.
  • Die neuartige Lenkung, als Progressivlenkung mit Servo-Unterstützung (System Großbach) konstruiert, ermöglicht müheloses, zielgenaues Rangieren bei geringstem Lenkradausschlag. An dem neu gestalteten "autonova"-Lenkrad befinden sich die Bedienungsknöpfe und sind so im optimalen Griffbereich. Der Gesamtlenkerausschlag von links nach rechts beträgt nur 280 Grad, also keine ganze Lenkradumdrehung. Der mittlere Lenkbereich ist auf Grund der Progressivkurve mit einer Normallenkung vergleichbar.
  • Geringer Wendekreisdurchmesser von 8,4 m.
  • Die hinteren Federbeine System "Boge-Hydromat" sorgen bei jeder Belastung zwischen Leerfahrt und Volllast für optimalen Federungskomfort und Fahrsicherheit.
  • Scheibenbremsen vorn.

Autor: Till Schauen, überarbeitet und ergänzt von Jürgen Böttger
Fotos: Archiv Michael Conrad, Uwe Gusen
Im Orginal, nebst Ergänzungen, zu finden beim GLAS-Club.

Genehmigung zur Veröffentlichung von Wolfgang Spitzbarth, GLAS-Club