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Lokomotive 50 1959

Ordnungsnummer 50 1959? Das sieht auf den ersten Blick doch nach einer Fantasienummer aus. 50 für das Alter, 1959 für die Jahreszahl. Wenn man jedoch tiefer in die Unterlagen blickt, wird man feststellen, dass es die Lokomotive 50 1959 tatsächlich gab und dass sie eine sehr interessante Geschichte aufzuweisen hat.

Doch zuerst sollte das Ordnungsnummernsystem erklärt werden: Die ersten zwei (bzw. ab 1968 drei) Ziffern beschreiben die Baureihe, die Ziffern nach der Leerstelle sind die fortlaufenden Zahlen und kennzeichnen dann die einzelne, individuelle Lokomotive. Bei der 50 1959 handelt es sich also um die 1959ste Lokomotive der Baureihe 50, mit 3164 gebauten Maschinen einer der erfolgreichsten Dampflokomotiven in Europa, die von 21 verschiedenen Lokomotivfabriken gefertigt werden sollte. Diese Baureihe wurde 1939 eingeführt und entwickelte sich zu einer wirklichen Universallokomotive, die dank niedrigem Achsdruck (etwas über 15 Tonnen), guter Leistung (ca. 1600 PS) und einer relativ hohen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h (vorwärts wie rückwärts) vom Personenzug auf der Nebenbahn bis zum Güterzug auf der Hauptstrecke so ziemlich überall eingesetzt werden konnte. Tatsächlich kam diese Konstruktion (bzw. die daraus zurückentwickelte, entfeinerte Version der Kriegslokomotive Baureihe 52, die im Verlauf des Krieges mit mehr als 7000 Exemplaren in ganz Europa vorzufinden war) von Norwegen bis Anatolien, von Holland bis Polen und Tschechien zum Einsatz und gehörte meist zu den Baureihen, die bis zum Ende der Dampftraktion in den jeweiligen Ländern eingesetzt wurde.


Bild mit freundlicher Genehmigung von Frank Paul - www.eisenbahnwelt.com

Die 50 1959 ist so ein typisches Kriegskind: Sie wurde im Februar 1942 von der Maschinenbaufabrik H. Cegielski in Poznań ausgeliefert. Da nach dem deutschen Überfall auf Polen das Werk konfisziert und an die „Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken“ mit Sitz in Karlsruhe übertragen wurde, steht „DWM, Werk Posen“ in den Lieferlisten und es ist auch stark anzunehmen, dass sie in großen Teilen von polnischen Zwangsarbeiten gefertigt wurde. Beide Unternehmen gibt es übrigens noch heute: Das nach dem Krieg zur „Josef Stalin Metallwerke“ verstaatlichte Unternehmen wurde in den 90er Jahren wieder reprivatisiert und stellt als „H. Cegielski - Poznań S.A“ weiterhin Schienenfahrzeuge und vor allem Schiffsmotoren her. Aus der DWM im Besitz der Familie Quandt entwickelten sich nach dem Krieg mehrere Industrieunternehmen, darunter KUKA (Industrieroboter), Waggon Union (Schienenfahrzeuge und Berliner Doppelstockbusse) oder auch Olympia-Schreibmaschinen. In ehemaligen Stammsitz in Karlsruhe befindet sich heute übrigens das „Zentrum für Kunst und Medientechnologie“ sowie das „Museum für neue Kunst“.

Doch zurück zu unserer Lok: Ihr Kaufpreis dürfte etwa 165.000 Reichsmark betragen haben und ihre Hauptaufgabe wird in den Kriegstagen der Transport von Nachschub an die Ostfront gewesen sein. Viel ist über die Kriegszeit nicht bekannt, die Maschine verblieb nach dem Kriegsende als eine von 350 Exemplaren der Baureihe auf dem Gebiet der Sowjetzone. Hier macht sie sich bei einer monatlichen Laufleistung von 6000 – 8000 Kilometern wieder als „Mädchen für alles“ nützlich und zieht vom Personenzug, dem schweren Güterzug bis zum gelegentlichen Schnellzug alle Zuggattungen. Sicherlich wird sie auch für einige Interzonen-Züge die Traktion geleistet haben.

Mitte der 50er Jahre zeichnete sich bei manchen Dampflokomotiven ein zunehmendes Problem ab: Um bei höherem Betriebsdruck die notwendige Wandstärke nicht zu sehr ansteigen zu lassen, hatte man den Stahl für den Kessel mit Molybdän legiert. Dies verringerte die Wärmeleitfähigkeit und in Kombination mit einem relativ hohen Kohlenstoffanteil versprödete der Stahl vorschnell. Diese schnelle Alterung erhöhte die Gefahr eines Kesselzerknalls, da dies natürlich nicht ganz ungefährlich war, musste eine Lösung geschaffen werden. Die Deutsche Reichsbahn der DDR ließ daher einen Neubaukessel aus alterungsbeständigem Material entwickeln und rekonstruierte Teile ihres Triebfahrzeugparks. Unsere 50 1959 kam dazu im Jahre 1960 in das Ausbesserungswerk Stendal, wo sie neben dem Kessel auch einen Mischvorwärmer (der für ehemalige DDR-Loks typische, trapezförmige Kasten vor dem Schornstein) und einige weitere technische Verbesserungen erhielt, wodurch sie bei mehr Leistung (ca. 160 PS) und niedrigerem Brennstoffverbrauch für einen erstaunlich langen weiteren Einsatz gerüstet war.


Bild mit freundlicher Genehmigung von Karl-Heinz Siebke - www.altmarkdampf.de

Mit der neuen Betriebsnummer 50 3632 versehen kam sie kam sie in den folgenden Jahren hauptsächlich auf dem Gebiet der Reichsbahndirektion Magdeburg zum Einsatz und war nacheinander in Eilsleben, Magdeburg, Halberstadt und Blankenburg stationiert. Die zweite Ölkrise 1979/80 führte sogar zu einer Renaissance der Dampftraktion, um den Devisenbedarf für sowjetisches Öl zu reduzieren. In dieser Zeit leisteten diese Lokomotiven Unglaubliches, wenn man berücksichtigt, dass in der DDR zeitweilig mehr als 80 % des gesamten Güterverkehrs über die Schiene gelaufen ist! Unsere Lokomotive war deshalb bis in den Sommer 1986 im Einsatz und erlebte abgestellt den letzten planmäßigen Regelspurdampfzug, den ihre Schwester 50 3559 am 29. Oktober 1988 von Halberstadt aus bespannte. Das endgültige Ende der Dampftraktion brachte dann das Schicksal des Schneidbrenners, sie wurde im Winter 1988/89 in Halberstadt verschrottet. Allerdings nicht ganz, ihre Treibachse steht bis heute vor dem ehemaligen Betriebswerk Halberstadt als Denkmal ausgestellt.

Will man heute eine Lokomotive der Baureihe 50.35 unter Dampf erleben, haben wir im Großraum Stuttgart sogar zwei Möglichkeiten: Zum einen steht die 50 3636 bei der „Gesellschaft zur Erhaltung von Schienenfahrzeugen e.V.“ unter Dampf und wird im Sommer regelmäßig vor dem Feurigen Elias zwischen Korntal und Weissach eingesetzt. Und die „Dampfbahn Kochertal Historische Bahn e.V.“ richtet derzeit ihre 50 3545 wieder her, die in naher Zukunft Museumszüge auf der Wieslauftalbahn zwischen Schorndorf und Welzheim ziehen soll. Für mich als Esslinger übrigens ein sehr interessantes Exemplar, sie wurde 1942 in der Maschinenfabrik Esslingen gefertigt!

Man wird häufig gefragt, warum man sich für alte Autos, alte Lokomotiven und alte Technik interessiert. Wollten wir wirklich alle einmal Lokomotivführer oder Rennfahrer werden? Nein, die alten Fahrzeuge und historische Technik waren immer auch Zeugnisse der Zeitgeschichte, an denen man mehr ablesen kann als die reinen technischen Daten. Die Auseinandersetzung mit der Technikgeschichte schafft ein Bewusstsein für die historischen Rahmenbedingungen, unsere 50 1959 hat vieles miterlebt, was unsere deutsche und europäische Geschichte prägte: Den Krieg mit all seinen schrecklichen Wirkungen, die Teilung Deutschlands, die Wirtschaftsgeschichte der DDR.

So eine Lokomotive ist ein „Denk mal“ im wörtlichen Sinne.

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Interessante Internetseiten zum Thema "Historische Eisenbahntechnik":

www.altmarkdampf.de
www.reichsbahndampflok.de
www.ges-ev.de
www.dbk-historische-bahn.de

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www.drehscheibe-online.de