Haft-Grenzen: Nicht jeder „Gut“achter ist „gut“
Ein typischer Fall aus der Praxis des Oldtimeranwalts: Zahnarzt Meier möchte gerne einen 300 SL kaufen. Auf einer Messe findet er bei einem kleinen Oldtimerhändler ein sehr schön „aussehendes“ Exemplar eines 300 SL Roadster. Da er sich aber weder in der Technik noch bei den aktuellen Preisen auskennt, bittet er den Verkäufer, ein aktuelles Gutachten vorzulegen, aus dem sich die Zustandsnote, der geschätzte aktuelle Wert und eventuelle Mängel ergeben. Er erklärt, dass er das Fahrzeug kaufen würde, wenn das Fahrzeug, wie vom Händler versprochen, der Note „zwei“ entspricht, der Preis in etwa zum Marktwert passt und das Fahrzeug keine größeren Mängel hat. Der Verkäufer legt sodann ein Gutachten vor, das (Überraschung!) belegt, dass das Fahrzeug keine Mängel hat, der Note „zwei plus“ entspricht und seinen Preis wert ist. Nach dem Kauf ergeben sich immer wieder gravierende Mängel. Ein jetzt eingeholtes Classic Data-Gutachten zeigt, dass das Fahrzeug etwa € 150.000,00 weniger wert ist als der Käufer gezahlt hat, der Zustand etwa „vier plus“ entspricht und die Mängelaufzählung ca. zwei DIN A4-Seiten füllt. Der Käufer verklagt nunmehr den Verkäufer auf Zahlung der Differenz zwischen echtem und angepriesenem Wert. Daneben wird aber auch der Gutachter in gleicher Höhe verklagt. Sein „Gutachten“ besteht aus einigen Fotos, dem abgeschriebenen Werbetext und sage und schreibe vier Zeilen „eigenen Feststellungen“.
Solche und ähnliche Fälle gibt es in jüngerer Zeit häufig. Da der Begriff „Gutachter“ oder „Sachverständiger“ nicht gesetzlich geschützt ist, darf sich jede/r „Gutachter“ oder „Sachverständiger“ nennen, ohne dass eine bestimmte Ausbildung, Berufserfahrung o. ä. nachgewiesen werden muss.
Daher ist Gutachten nicht gleich Gutachten. Es gibt erhebliche Qualitätsunterschiede bei den Sachverständigen. Hinzu kommt, dass man bei Oldtimergutachten offensichtlich ganz gut verdienen kann, u. a. da diese auch für geplante Verkäufe, für die Versicherungseinstufung etc. immer wieder benötigt werden. Dies sowie falsch verstandene Freundschaftsdienste sorgen dann letztlich auch beim Oldtimeranwalt manchmal für Arbeit.
Haftung gegenüber dem Auftraggeber
Der Vertrag mit einem Gutachter ist meist ein Dienstvertrag: Der Gutachter schuldet die ordnungsgemäße Erbringung seiner Dienste. Macht er erhebliche Fehler, haftet er hierfür zunächst einmal vertraglich gegenüber seinem Auftraggeber.
Ein Haftungsrisiko ergibt sich nicht bei der Frage, ob ein Fahrzeug nun „zwei plus“ oder „zwei minus“ ist. Dies ist sicherlich Auslegungssache.
Riskant für den Gutachter wird es aber dann, wenn er seinen Auftrag auf die leichte Schulter nimmt und bei der Begutachtung nicht genau hinsieht oder etwa das eine oder sogar beide Augen fest zudrückt. Entsteht dann durch das falsche Gutachten ein Schaden, haftet der Gutachter seinem Auftraggeber.
Haftung gegenüber Dritten (z. B. Käufer)
Denkbar ist aber nicht nur eine Haftung gegenüber einem Dritten, z. B. gegenüber einem Käufer oder der Versicherung.
In unserem Beispielfall lag die Sache klar:
Alle Beteiligten wussten, dass das Gutachten die drei wichtigsten Eckpunkte des Kaufvertrages überprüfen sollte, und dass die Entscheidung des Käufers vom Ausgang des Gutachtens abhing. Hier haftet der Gutachter direkt gegenüber dem Käufer. Juristen sprechen von einem „Vertrag zugunsten Dritter“.
In der Praxis werden bei einem Verkauf aber Gutachten oft ohne besondere Erläuterung oder Vereinbarung dem Käufer vorgelegt. Hat der Gutachter gewusst, dass sein Gutachten im Zusammenhang mit einem geplanten Verkauf benötigt wird, kann er bei fehlerhaftem Gutachten auch hier gegenüber dem Käufer haften. Daneben haftet der Verkäufer für das falsche Gutachten unter Umständen auch selbst dann, wenn er die Mängel des Gutachtens nicht kannte und sich ebenfalls hierauf verlassen hat. Dies gilt zumindest, wenn der Verkäufer das Gutachten nicht einfach wortlos den übrigen Unterlagen beigefügt, sondern sich im Rahmen des Verkaufes hierauf berufen hat. Dann hat er sich das (fehlerhafte) Gutachten zu eigen gemacht und muss dann auch haften.
Der Bundesgerichtshof hat kürzlich einen Fall entschieden, in dem im Kaufvertrag stand, dass eine „positive Begutachtung nach § 21 c StVZO (Oldtimer) im Original“ vorliege. Das Gericht hat darin eine sogenannte Beschaffenheitsvereinbarung gesehen. Der Käufer kann sich dann darauf verlassen, dass das Fahrzeug sich in einem Zustand befindet, der die erteilte positive Begutachtung als Oldtimer rechtfertigt.
Kurz formuliert: Wer mit einer solchen „H-Kennzeichen-Abnahme“, einer Hauptuntersuchung oder einem Wertgutachten beim Käufer wirbt, muss auch für die Richtigkeit der darin enthaltenen Aussagen einstehen.
Gefährlich für den Gutachter kann gegebenenfalls auch der Rückgriff einer Versicherung werden, wenn aufgrund des Gutachtens etwa im Diebstahlfall ein hoher Wert erstattet wird, den das Fahrzeug aber gar nicht hatte.
Kurzbewertungen
Ein besonderes Problem in der Praxis stellen sogenannte Kurzbewertungen für die Versicherungen dar. Hier wird das Fahrzeug nur kurz besichtigt, es werden zwei Fotos gemacht und das ganze gibt es dann zu einem Preis von ca. € 150,00. Dafür kann man sicherlich kein umfangreiches „Vollgutachten“ erwarten. Versicherungen sind auch gut beraten, wenn sie solche Kurzbewertungen nur bis zu bestimmten Fahrzeugwerten anerkennen.
Zumindest muss die Fahrzeugidentität anhand der Rahmen-/Fahrgestellnummer überprüft werden. Wichtig ist auch, dass nicht der Eindruck eines umfassenden Gutachtens erweckt, sondern die Einschränkung einer „Kurzbewertung zur Versicherungseinstufung“ o. ä. ausdrücklich genannt wird. Hierauf darf sich dann aber auch ein Käufer letztlich nicht verlassen.
„Großes Gutachten“
Wer als Verkäufer, Käufer oder auch zur eigenen Absicherung wirklich Sicherheit haben möchte, darf sich nicht mit einer Kurzbewertung begnügen. Dann ist vielmehr ein „großes Gutachten“ notwendig. Hier werden alle wesentlichen Fahrzeugbestandteile im Einzelnen aufgenommen. Es wird überprüft, ob Matching Numbers vorliegen, alles original ist und funktioniert, was restauriert wurde und was nur repariert etc. Über ein solches „großes Gutachten“ kann dann auch abweichend vom technischen Fahrzeugzustand ein realistischer Wert ermittelt werden: Der technische Zustand und die daraus folgende Zustandsnote sind nur ein Kriterium für die Festlegung des Fahrzeugwerts. Weitere wichtige Kriterien sind z. B. Originalität, belegte Historie, umfangreiche Dokumentationen, berühmte Vorbesitzer, seltene Sonderserien oder Karosserieausführungen, besonderes Zubehör o. ä.
Schadenshöhe
Die Höhe eines Schadens, für die unter Umständen ein Gutachter bei grober Falscherfüllung des Gutachterauftrages haften muss, lässt sich nur von Fall zu Fall bestimmen. In dem oben genannten Beispielfall betrug die Wertdifferenz für das Fahrzeug zwischen Zustand „zwei plus“ und „vier“ konkret € 180.000,00, die eingeklagt worden sind. Denkbar ist aber auch ein Schadensersatz in Höhe des Betrages, der erforderlich ist, um das Fahrzeug aus dem tatsächlichen Zustand in den laut Gutachten festgestellten Zustand zu restaurieren.
Hauptuntersuchung
Immer wieder stellt es sich heraus, dass Fahrzeuge, die gerade erst die Hauptuntersuchung erfolgreich und ohne Mängel überstanden haben, in sicherheitstechnisch so schlechtem Zustand sind, dass fraglich ist, wie sie überhaupt den Weg von der Hauptuntersuchung nach Hause geschafft haben. Verkäufer, die hier ausdrücklich mit der „frischen“ Hauptuntersuchung werben, haften im Rahmen der Verkäufergewährleistung, wie beispielsweise in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall. Der Verkäufer muss das Fahrzeug dann in den Zustand versetzen, der erforderlich ist, um die Hauptuntersuchung auch bei einer „neutralen“ Untersuchung sicher zu bestehen.
Bei der Hauptuntersuchung werden aber nur sicherheitsrelevante Aspekte geprüft. Die Prüforganisation haftet aber hier nur in den seltensten Fällen, da zum einen eine Haftung für Dritte in der Regel über die Geschäftsbedingungen ausgeschlossen ist und zum anderen die Überprüfung nicht zur Feststellung eines bestimmten Wertes oder für die Vorbereitung eines Verkaufs erfolgt, sondern zur Sicherung des Straßenverkehrs. Dies schließt aber nicht aus, dass eine Haftung im konkreten Einzelfall doch einmal in Betracht kommt.
Fazit:
Wirkliche „Gutachten“ (keine Kurzbewertungen) können Fehlkäufe oder ähnliche Probleme vermeiden. Bringen Sie als Käufer am besten den Gutachter „Ihres“ Vertrauens selbst mit. Gutachten sind aber etwas für Profis und nicht geeignet, damit den schnellen Euro zu verdienen. Gutachter/Sachverständige, die sich nicht auskennen, arbeiten nicht im rechtsfreien Raum, sondern riskieren Schadensersatzansprüche.
Tipps zur Gutachtersuche:
- Gutachter selbst aussuchen und selbst beauftragen
- Käufer sollten ein vom Verkäufer vorgelegtes Gutachten besonders kritisch überprüfen.
- Achten Sie darauf, dass der Gutachter auf Oldtimer und möglichst auf den speziellen Fahrzeugtyp tatsächlich spezialisiert ist.
- Auch Gutachter müssen regelmäßig fortgebildet werden. Hier leisten große Gutachterorganisationen (z. B. Classic Data) wichtige Hintergrundarbeit.
- Oft werden „Zustandsnoten nach Classic Data“ vergeben. Prüfen Sie, ob es sich auch wirklich um einen Classic Data-Gutachter handelt. Nur dann können Sie sicher sein, dass die diesbezüglichen Richtlinien vom Gutachter eingehalten werden.
- Kurzbewertungen sind kein Ersatz für ein „richtiges“ Gutachten.
- Der Wert ergibt sich nicht nur aus der Zustandsnote: Ein Fahrzeug mit technischem Zustand „3“, sehr gut belegter interessanter Historie und im weitgehenden Originalzustand kann im Ergebnis mehr wert sein, als ein restauriertes Fahrzeug im Zustand „2“.
- Lassen Sie ein Gutachten mindestens alle zwei Jahre aktualisieren: Je stärker die Preisentwicklung ist, desto schneller ist ein Gutachten überholt. Wichtige Reparaturen, Restaurierungen etc. sollten so dokumentiert werden. Denken Sie auch an die Anpassung der Kaskoversicherung, sonst gibt es im Schadensfall eine zu geringe Entschädigung.
- Oldtimerclubs kennen oft spezialisierte Sachverständige für bestimmte Baureihen oder Fahrzeugtypen.
Ihr Oldtimeranwalt
Michael Eckert
www.oldtimeranwalt.de
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PS: Ich habe für meine zwei Oldies gerade von einem ausgewiesenen Experten zwei Gutachten machen lassen und schlafe jetzt deutlich besser …