Airbag und Gurtstrammer feiern im März 1981 Weltpremiere
- Nach der Premiere in der Mercedes-Benz S-Klasse gehört der Airbag wenige Jahre später zur Serienausstattung aller Pkw der Marke
- 15 Jahre Entwicklungsarbeit stecken in diesen Meilensteinen der Fahrzeugsicherheit
Mercedes-Benz stellt 1981 als weltweit erster Automobilhersteller die Rückhaltesysteme Airbag und Gurtstrammer in einem Serienautomobil der Öffentlichkeit vor. Diese beiden Meilensteine für die passive Sicherheit haben auf dem Automobil-Salon Genf im März 1981 in einer S-Klasse Limousine der Baureihe W 126 Premiere. Damit beginnt bei Mercedes-Benz die Einführung des modernen Airbags als Element der passiven Fahrzeugsicherheit in das gesamte Personenwagen-Programm: Bereits 1982 sind Airbag und Gurtstrammer als Sonderausstattung für alle Mercedes-Benz Personenwagen lieferbar. Bis zum Jahr 1992 wird der Fahrerairbag Serienausstattung in allen Mercedes-Benz Modellen, 1994 folgt der Beifahrerairbag als serienmäßiges Sicherheitsmerkmal, danach verwirklicht Mercedes-Benz zahlreiche weitere Anwendungen der Airbag-Technik.
1969-1974: Erste Erprobungen des Airbags im Frontalunfall, 1969. Die Entwicklung des Airbags, der im Gegensatz zum Sicherheitsgurt den Fahrzeuginsassen großflächig abstützt und damit das Verletzungsrisiko bei schweren Frontalkollisionen reduziert, begann 1968.
Quelle: Daimler AG
Die Forschung am Airbag startet bei Mercedes-Benz im Jahr 1966, praktische Versuche beginnen 1967. Damit reagiert der Hersteller seinerzeit auf die stark steigenden Unfallzahlen in den 1960er Jahren. Mercedes-Benz hat bereits in den Jahren zuvor durch Innovationen wie die Sicherheitskarosserie mit gestaltfester Fahrgastzelle und Knautschzonen an Front und Heck Maßstäbe für die passive Sicherheit gesetzt. Der Airbag wird ebenfalls ein entscheidender Baustein im kontinuierlichen Einsatz der Marke für die Verbesserung der Fahrzeugsicherheit.
Zusätzliches Gewicht bekommt die Forschung am neuen Rückhaltesystem durch den Plan der Vereinigten Staaten von Amerika, vom Jahr 1969 an für jedes Auto ein automatisches Insassenschutzsystem vorzuschreiben. Airbags gelten als eine vielversprechende Technik, um die neuen gesetzlichen Anforderung einlösen zu können. Das Prinzip des Luftsacks, der Fahrer und Passagiere bei einem Unfall schützt, ist schon in den 1950er Jahren zu Patenten angemeldet worden. Wegbereiter waren hier vor allem der Deutsche Walter Linderer (Patent DE 896312 vom 6. Oktober 1951) und der Amerikaner John W. Hedrik (Patent US 2649311 vom 18. August 1953).
Insassenschutz mit System: Die Mercedes-Grafik aus dem Jahre 1980 erklärte die Funktion von Airbag und Gurtstraffer auf Basis eines gemeinsamen Sensorsignals.
Quelle: Daimler AG
Mehr als zehn Jahre lang wird der „aufblasbare Behälter in zusammengefaltetem Zustand, der sich im Falle der Gefahr automatisch aufbläst“ (so beschreibt Linderer seine Erfindung im Patenttext) nun Forschungsobjekt mit dem Ziel, ihn reif für den Serieneinsatz zu machen. Die Arbeit der Mercedes-Benz Ingenieure und ihrer Kollegen bei anderen Automobilherstellern und Zulieferern in den 1960er Jahren ist zunächst einmal Grundlagenforschung. Denn Geräte, mit denen die Idee aus den 1950er Jahren in einem Personenwagen verwirklicht werden könnte, gibt es nicht.
Vor allem die Sensorik und die Gaserzeugung stellen die Ingenieure weiterhin vor große Herausforderungen. Als amerikanische Hersteller erste Testwagen-Flotten mit druckluftbetriebenen Airbags ausliefern, führen diese Rückhaltesysteme – sie sind als Alternative zum Gurt gedacht – teils zu schweren Verletzungen und vereinzelt sogar zu Todesfällen. Deshalb wird die am Anfang so vehement geforderte serienmäßige Ausstattung von Personenwagen mit Airbags in Nordamerika immer weiter verschoben.
Derweil wird bei Mercedes-Benz in Stuttgart an einer in vielen Details anderen Airbag-Technik gearbeitet: So setzen die Sicherheitsexperten von Mercedes-Benz für die Produktion des Gases auf Treibsätze, nicht auf unter Druck gespeichertes Gas. Und der Airbag wird auch nicht als allein stehendes Rückhaltesystem entwickelt, sondern stets als Element, das mit dem Sicherheitsgurt zusammen wirkt. Zum Ausdruck kommt das in der international und auch für Airbags verwendeten Abkürzung SRS, die für „Supplemental Restraint System“ steht („zusätzliches Rückhaltesystem“). Bereits 1970 berichtet Mercedes-Benz in einem Brief an ein deutsches Auto-Fachmagazin aus der Erfahrung der Unfallversuche: „Die Wirksamkeit des Luftsack-Systems in Verbindung mit einem Beckengurt und einer Kopfstütze beim Frontal- beziehungsweise Heckaufprall kann als gut bezeichnet werden.“
Von 1967 an laufen die praktischen Versuche zur Gaserzeugung mit Chemikalien, wie sie so ähnlich auch als Festtreibstoff für Raketen verwendet werden. Im Gegensatz zu mit Gas gefüllten Patronen erweist sich diese Form der Treibladung als zuverlässiger und schneller Gaserzeuger. Das dabei entstehende Gasgemisch besteht vor allem aus Stickstoff und bläht in Sekundenbruchteilen den aus einem speziellen Gewebe bestehenden Luftsack auf, der nun als weiches Kissen die vom Aufprall nach vorn geschleuderten Passagiere abfängt.
Die zentralen Erkenntnisse der frühen Versuche gehen in das Patent DE 2152902 C 2 ein, das die damalige Daimler-Benz AG am 23. Oktober 1971 anmeldet. Diese Patentschrift ist ein Schlüsseldokument für die gesamte Airbag-Entwicklung bei Mercedes-Benz. Denn das Funktionsprinzip der neuen Technik ist hier bereits so ausgeführt, wie sie zehn Jahre später in der Serie umgesetzt wird: Sensoren registrieren besonders starke Verzögerungen, wie sie für Kollisionen typisch sind, und lösen den Airbagmechanismus aus. Dieser zündet eine Treibladung (damals aus Natriumazid, Kaliumnitrat und Sand), die sich bei der Explosion vor allem in gasförmigen Stickstoff sowie je etwas Wasser- und Sauerstoff verwandelt.
Erfolgreiche Pionierarbeit: Im Oktober 1971 meldeten Mercedes-Ingenieure ihr Airbag-System zum Patent an.
Quelle: Daimler AG
Seine volle Leistung, das zeigen die Versuche bald, erreicht der Airbag tatsächlich nur in Kombination mit dem Sicherheitsgurt. Und der Gurt spielt auch bei der zweiten Innovation eine entscheidende Rolle, die Mercedes-Benz 1981 in Genf vorstellt – dem Gurtstrammer. Zunächst wird er für den Beifahrer entwickelt und angeboten. Aber bereits 1984 ist der Gurtstraffer, wie dieses Sicherheitsmerkmal nun bezeichnet wird, Serienausstattung für die Vordersitze aller Mercedes-Benz Personenwagen. Der Gurtstrammer arbeitet – wie der Airbag – pyrotechnisch: Bei einem Unfall löst die Steuerung eine Treibladung aus, die in wenigen Millisekunden den Automatik-Dreipunktgurt des Sitzes fest anzieht. So wird der lockere Bereich zwischen Oberkörper und Gurt, die so genannte Gurtlose, gespannt. Durch den entsprechend fixierten Sicherheitsgurt wird der Mensch kraftschlüssig im Sitz gehalten und die Kräfte, die durch die Bewegungsenergie der Kollision auftreten, werden sofort vom Gurt aufgenommen. Von 1995 an werden die Gurtstraffer dann in allen Modellen mit Gurtkraftbegrenzern verbunden, um die Leistung des Rückhaltesystems dem individuellen Bedarf anzupassen. 2002 wird der pyrotechnische Gurtstraffer außerdem mit der Einführung des präventiven Insassenschutzsystems PRE-SAFE® um einen elektronischen Gurtstraffer ergänzt.
1979-1984: Gurtstraffertest mit unterschiedlich dicker Bekleidung. Der Gurtstraffer zieht den Gurt straff an den Körper. Dadurch werden nicht nur die Vorverlagerungen von Kopf und Brust - und somit das Risiko für Kontakte mit Lenkrad oder Instrumententafel - reduziert, sondern auch die Belastung für den Hals.
Quelle: Daimler AG
Noch umfassender ist die Evolution, die der Airbag erlebt: 1992 wird der Fahrer-Airbag und 1994 der Beifahrer-Airbag zur Serienausstattung in allen Mercedes-Benz Personenwagen. Weil die Airbag-Module durch die kontinuierliche Arbeit der Ingenieure immer kleiner werden, können sie auch an anderen Stellen des Fahrzeugs platziert werden, um einen umfassenden Schutz auch bei seitlichen Kollisionen zu erreichen: Mercedes-Benz stellt 1993 einen Seiten-Airbag als Studie vor, 1995 kommt der Side-Bag dann als Sonderausstattung zunächst in der E-Klasse auf den Markt. Der Window-Bag wird von 1998 an zur Serienausstattung, zunächst in der S-Klasse. Für die Roadster der Mercedes-Benz SL-Klasse wird 2001 der Head-Thorax-Seitenairbag eingeführt. In der S-Klasse der Baureihe W 221 sind adaptive Airbags Bestandteil der Sicherheitsphilosophie PRO-SAFE™. Und das Experimental-Sicherheitsfahrzeug ESF 2009 von Mercedes-Benz zeigt 2010 eine ganz neue Form des Airbags: Der Braking Bag ist im Fahrzeugboden untergebracht und wird kurz vor einer Kollision ausgelöst. So stützt er das Fahrzeug über einen Reibbelag gegen die Fahrbahn ab und bremst es bis zum Aufprall zusätzlich ab.
Die Produktion der ersten S-Klasse Fahrzeuge mit Airbag und Gurtstrammer beginnt 1980 im Werk Sindelfingen, nach der Präsentation in Genf geht die Baureihe 126 mit der neuen Sonderausstattung dann im Juli 1981 in den Verkauf. Die Kombination aus Fahrer-Airbag und Beifahrer-Gurtstrammer ist zunächst ausschließlich für die S-Klasse erhältlich und kostet als Sonderausstattung für Limousine und Coupé jeweils 1525,50 DM. Zum Vergleich: Das damalige Spitzenmodell der S-Klasse Limousinen, der Typ 500 SEL, kostet im Juli 1981 61 505,90 DM. Das Coupé mit der entsprechenden Motorisierung, der Typ 500 SEC der Baureihe C 126, ist im zweiten Halbjahr 1981 für 73 902,00 DM zu haben.
Millisekundenschneller Schutz: Der Airbag hat die Insassensicherheit beim Frontalaufprall deutlich verbessert. Seit 1990 rettete er allein in Deutschland über 2500 Menschenleben.
Quelle: Daimler AG
Noch im ersten Jahr der Einführung von Airbag und Gurtstrammer entscheiden sich 2636 Käufer der S-Klasse für dieses neue Sicherheitsmerkmal. Damit tritt der Airbag seinen Siegeszug an. Mehr als zwölf Millionen Fahrzeuge von Mercedes-Benz werden in den ersten 25 Jahren nach der Präsentation der neuen Technik mit Airbags ausgestattet, andere Automarken ziehen umgehend nach. Aus der Sonderausstattung des Jahres 1981 entsteht so ein serienmäßiges Rückhaltesystem, das seither zusammen mit anderen Merkmalen der passiven Sicherheit viele tausend Menschenleben bei Unfällen gerettet hat.