Mercedes-Benz Heckmotor-Fahrzeuge der 1930er Jahre
- Konsequente Umsetzung innovativer Fahrzeugkonzepte
- Das Karosseriedesign polarisiert beim Erscheinen
- Wichtige Impulse für die damalige Automobilindustrie
1934 wagt Mercedes-Benz sich mit einem revolutionären Fahrzeugkonzept in die Öffentlichkeit, dem Typ 130. Denn ein Wagnis ist es: Einen serienmäßigen Heckmotorwagen hat es in der Markengeschichte bisher noch nicht gegeben. Ja, die gesamte Automobilhistorie, die zur damaligen Zeit knapp 50 Jahre umfasst, hat noch nicht viele Heckmotorfahrzeuge gesehen.
Ausgangspunkt für die Entwicklung des Typ 130 ist die allgemein schwierige Wirtschaftslage zu Beginn der 1930er Jahre und zudem die erhoffte Massenmotorisierung, an der alle Automobilhersteller teilhaben möchten. Das fordert sie geradezu heraus, kleinere und preisgünstige Fahrzeuge zu entwickeln – insbesondere die Marke Mercedes-Benz, stellt sie bisher doch vor allem noble und teurere Fahrzeuge her. In Deutschland wird zunehmend das Thema des Volkswagens prägend, eine Bezeichnung, die damals eine Gattung und gewünschte Ausrichtung benennt und nicht ein bestimmtes Fahrzeug.
Die Daimler-Benz AG verschließt sich diesen Forderungen der Zeit nicht. Heraus kommt ein grundlegend neuer Entwurf, der Heckmotorwagen. Die Hauptgründe aus damaliger Sicht nennen die originalen Verkaufsprospekte der 1930er Jahre: Der nach hinten verlagerte Motor ermöglicht eine bessere Raumgestaltung. Das gibt den Passagieren bei einem vergleichsweise kurzen Radstand nicht nur Platz, sondern auch vollständig den bestgefederten Raum zwischen den Achsen und somit höheren Komfort. Zudem ist die gesamte Antriebseinheit zu einem Block konzentriert und kommt ohne Kardanwelle aus, was den Fahrzeugen die Vorteile eines geringeren Gewichts sowie reduzierter Übertragungsverluste bringt.
Mercedes-Benz 170 H, Baureihe W 28, 1936 bis 1939, Mercedes-Benz 130, Baureihe W 23, 1934 bis 1936 und Mercedes-Benz 150 Sport-Roadster, Baureihe W 30, 1934 bis 1936 (von links nach rechts).
Foto: Daimler AG
Es sei vorweggenommen: Zwar wird das Konzept über die Jahre weiter verfeinert und erlebt 1936 schließlich im Mercedes-Benz 170 H eine große Reife, doch letztendlich können sich Heckmotorautos noch nicht durchsetzen. Was hier geschildert wird ist somit ein Beispiel für die konsequente Umsetzung fortschrittlicher Fahrzeugkonzepte in der langen Historie der Daimler AG.
Das 1998 von der damaligen DaimlerChrysler AG auf den Markt gebrachte smart city-coupé, das seit 2004 fortwo heißt, folgt ebenfalls der Grundidee eines Heckmotorfahrzeugs mit bester Raumausnutzung und treibt sie in Form eines zweisitzigen Stadtfahrzeugs sehr konsequent weiter.
Dem Typ 130 gebührt das Verdienst, das Heckmotorkonzept, das vereinzelt schon in Kleinstwagen realisiert worden war, weiter entwickelt und bekannter gemacht zu haben zu haben – noch vor dem Auto, das später als VW „Käfer“ bekannt wird. Der erste Prototyp des „Käfer“ fährt im Oktober 1935 aus eigener Kraft. 1937 baut die Daimler AG im Werk Sindelfingen als Auftragsarbeit 30 weitere Prototypen zwecks genauer Erprobung. 1938 wird die Volkswagenwerk GmbH gegründet, doch kriegsbedingt beginnt die Serienfertigung des „Käfer“ erst 1945. 1946 gelangt das Heckmotorfahrzeug schließlich in den freien Verkauf, rund zwölf Jahre nach dem Mercedes-Benz 130.
Der Typ 130 erhält 1936 einen Nachfolger. Der Mercedes-Benz 170 H trägt als einziger Heckmotortyp das „H“ in der Modellbezeichnung, um ihn vom zeitgleich präsentierten Mercedes-Benz 170 V mit Frontmotor zu unterscheiden. Der Typ 170 H, der bis 1939 im Modellprogramm bleibt, räumt mit zahlreichen Nachteilen auf, die der Vorgänger noch hatte, und bietet ein deutlich kultivierteres Fahrverhalten.
Im Jahr 1934 wird außerdem der zweisitzige Mercedes-Benz 150 mit Coupé-Karosserie bei der Veranstaltung „2000 Km durch Deutschland“ eingesetzt. Er folgt einem Mittelmotorkonzept, gehört aber dennoch in die Riege dieser markanten Fahrzeuge. Er ist für Sportveranstaltungen konzipiert und nimmt insofern eine Sonderrolle ein. Denn die Typen 130 und 170 H sind Personenwagen für den Alltagseinsatz. Im Jahr 1935 debütiert dann noch der Mercedes-Benz 150 Sport-Roadster auf der IAMA in Berlin, die offene Variante des Wettbewerbswagens. Er kommt in das offizielle Verkaufsprogramm und wird bis 1936 angeboten, aber nur in äußerst geringer Stückzahl gebaut.
Die Heckmotortypen sind die konsequente Umsetzung einer technischen Vision. Zu dieser Konsequenz gehört auch das Karosseriedesign: Da ein Frontkühler nicht benötigt wird, kann das gesamte Fahrzeug anders gezeichnet werden. Damit weichen die Modelle gründlich ab vom traditionellen Bild der Frontmotorfahrzeuge, das insbesondere bei Mercedes-Benz stark bestimmt ist vom klassischen, fast als ikonografisch zu bezeichnenden Kühlergrill. So präsentiert die Frontpartie sich bei allen Heckmotorfahrzeugen gerundet, mal mit aufgelegtem Stern mit Umrandung (Typ 130), mal mit Stern ohne Umrandung (Typ 170 H), mal mit dem bis heute bekannten, frei stehenden Mercedes-Stern (Typ 150).
Dieses Abweichen von überlieferten Designvorstellungen trägt sicherlich einen großen Teil dazu bei, dass die Heckmotorwagen sich nicht so durchsetzen wie erhofft. Aber wenn man die Fahrzeuge heute sieht, kann man ihnen und insbesondere dem Typ 170 H große Modernität nicht absprechen – die sich noch verstärkt, wenn andere zeitgenössische Autos daneben stehen.
Als Nachteil der Heckmotorwagen wird oft ihr Fahrverhalten angeführt, das aufgrund ihrer Gewichtsverteilung schwierig sei – in zu schnell gefahrenen Kurven kann es zum Übersteuern kommen, also zu einem nach vorn drängenden Heck. Keine Frage: Aufgrund physikalischer Grundlagen ist diese Tendenz vorhanden, und zwar generell bei Heckmotorfahrzeugen aller Hersteller. Zeitgenössische Fahrberichte zu den Mercedes-Benz Fahrzeugen testieren diese Tendenz und sparen nicht mit Kritik, sagen aber gleichwohl, dass der Fahrer sich darauf einstellen könne und das eben auch tun müsse, dann sei man in jeder Situation sicher unterwegs. Ergänzt sei, dass im Typ 170 H als späte Evolutionsstufe eines Heckmotorwagens das Fahrverhalten aufgrund umfangreicher konstruktiver Maßnahmen ausgewogener ist. Und gegenüber dem Pendant mit Frontmotor, dem Typ 170 V, punktet dieses Auto sogar in vielen Aspekten, beispielsweise in Sachen Federungskomfort, Geräuschentwicklung, Luftwiderstand und Fahrleistungen.
In der Summe ihrer Eigenschaften folgen auch die Heckmotorfahrzeuge dem traditionellen Mercedes-Benz Anspruch – dem Kunden in jedem Fahrzeugtyp das Beste zu geben. Damit stellen sie stellen die Technologieführerschaft der damaligen Daimler-Benz AG offensiv unter Beweis.
Der Ruf nach einem kleineren Mercedes-Benz
- Schon früh entstehen verschiedene Versuchsfahrzeuge
- Der 1931 erscheinende Mercedes-Benz 170 ist ein wichtiger Schritt
- Ein weiteres Thema, das damals die Branche bewegt: das Volkswagen-Projekt
Die zweite Hälfte der 1920er Jahre ist in der Automobiltechnik eine Zeit der Innovation. Viele Ingenieure lösen sich von den noch immer zahlreich nach dem Vorbild der Kutsche konstruierten Automobilen mit Kastenrahmen, starren Achsen und Blattfedern. Sie streben nach neuen Lösungen, beispielsweise Einzelradfederung und möglichst steifen Rahmen.
In diese Zeit technischen Fortschritts passen die Pläne der Daimler-Benz AG. Denn sie greift schon bald nach der im Jahr 1926 erfolgten Fusion der Unternehmen Benz & Cie. und Daimler-Motoren-Gesellschaft ein latentes Thema wieder auf: die Abrundung des Modellprogramms nach unten hin. Unter der Leitung von Ferdinand Porsche als Chefingenieur entstehen mehrere Entwürfe kleinerer Fahrzeuge mit 1,3 und 1,4 Liter Hubraum, einige werden zwecks Erprobung auch gebaut. 1926 sind es acht Versuchswagen (Baureihe W 01) mit 1,4-Liter-Sechszylindermotor und einer Motorleistung von 18 kW, 1928 dann etwa 30 Versuchswagen (W 14) mit 1,3-Liter-Vierzylindermotor und ebenfalls 18 kW Leistung. Allerdings folgen beide Autos mit seitengesteuerten Motoren und Starrachsfahrwerken noch einer konventionellen Linie. Aus wirtschaftlichen Gründen gelangen sie nicht zur Serienproduktionsreife.
Im Jahr 1931 führt die Daimler-Benz AG dann den von Porsches Nachfolger Hans Nibel verantworteten Mercedes-Benz 170 (W 15) in den Markt ein, der ein großer Erfolg wird. Doch man ist noch nicht am Ziel: Aufgrund der auch in Europa fühlbaren Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre erkennt das Unternehmen den dringenden Bedarf nach einem noch preiswerteren Fahrzeug und löst erneut eine ernsthafte interne Debatte über die Erweiterung des Typenprogramms nach unten hin aus. Insbesondere der Vorstandsvorsitzende Wilhelm Kissel und Chefingenieur Hans Nibel fühlen sich von dieser Thematik besonders herausgefordert, hatten beide doch schon bei Benz & Cie. vor der Fusion erfolgreich Erfahrungen mit kleineren Fahrzeugen gesammelt, zum Beispiel mit dem Benz 6/18 PS von 1911. Unterstützung erhalten sie durch Max Wagner, den Leiter des Konstruktionsbüros, und seinen Konstrukteur Josef Müller.
Schon lange beschäftigt man sich mit kleineren Fahrzeugen
Müller schreibt in seinen 1990 verfassten Lebenserinnerungen: „Seit längerem hatte man auch in unserem Hause Überlegungen [in Richtung eines kleineren Wagens] angestellt, denn die Zeiten, da man nur große Nobelwagen verkaufte, schienen endgültig vorbei; eine neue Art Volksmotorisierung kündigte sich an. Den vier Passagieren sollte der bestgefederte Raum zwischen den Achsen eingeräumt werden.“
Der junge Josef Müller kann der Avantgarde von Automobilingenieuren zugerechnet werden, die nach grundsätzlichen technischen Neuerungen streben. Nach seinem Diplomabschluss an der Technischen Hochschule München stellt er sich im „CB“, wie das „Construktionsbüro“ unter Max Wagners Leitung damals in der Kurzform bezeichnet wird, mit Kreativität den neuen Herausforderungen. So treibt er 1932 beispielsweise die Weiterentwicklung einer Konstruktion von Wagen mit 1,2-Liter-Motor voran.
Daneben entstehen zwischen Ende 1931 und 1934 zahlreiche Entwürfe kleiner viersitziger Heckmotorwagen mit luftgekühlten Boxermotoren und flüssigkeitsgekühlten Drei- und Vierzylindermotoren, die zum Teil als Quermotoren über der Hinterachse platziert sind. Parallel dazu entstehen in der gleichen Größenkategorie aber auch Fahrzeuge mit Frontmotor und Frontantrieb, in dieser Kombination geradezu wegweisend. Kissel befürwortet die Frontmotorkonstruktionen, um gegebenenfalls einen Ersatz für den Heckmotorwagen zu haben.
Technologieführerschaft als hoher Anspruch
Dem hohen Anspruch, den Kissel für das von ihm geführte Unternehmen generell erhebt, kann ein kleinerer Mercedes-Benz nur dann gerecht werden, wenn er die Technologieführerschaft von Daimler-Benz offensiv unter Beweis stellt. Deutlich wird das an einer grundsätzlichen Bemerkung Kissels bei einer anderen Gelegenheit: „Trotzdem wir in diesen kritischen Jahren mit unseren Mitteln haushälterisch umgehen müssen, ist es nötig, mehr als je der Welt zu beweisen, dass der Geist von Gottlieb Daimler und Carl Benz in uns weiterlebt, und zu beweisen, dass die Daimler-Benz AG entschlossen ist das Erbe zu verteidigen.“
Wie dringlich das Vorhaben damals angesiedelt ist, geht im Nachhinein eindeutig aus Besprechungen hervor, die Kissel mit dem Vorstand und anderen leitenden Herren anlässlich der Internationale Auto- und Motorradausstellung (IAMA) in Berlin 1933 führt. Dabei führt er aus: „Es ergibt sich die Situation, dass unsere Position in diesem Jahre [1933], andererseits aber auch, dass unsere Pläne bezüglich eines 1,3 Liter Wagens erhöhte Bedeutung gewännen, besonders, wenn die Gesamtsituation sich nicht wesentlich bessert, sondern wenn früher oder später die Tendenz zu einem kleineren, wirtschaftlicheren und billigeren Wagen noch stärker in den Vordergrund trete als bisher. Maßgebend bleibe auch immer der vertretene Standpunkt, dass, unabhängig von der Wirtschaftslage, die Entwicklung des technischen Fortschritts scharf im Auge behalten werden muss, weil es sonst einer Firma gelingen könnte, einen Wagen mit Fahreigenschaften zu einem Preise zu bringen, der unsere Absichten bezüglich des 1,3 Ltr. Wagens durchkreuze.“
Da ist die Entscheidung für den Mercedes-Benz 130 längst gefallen. Er debütiert 1934 und folgt einem für die damalige Zeit revolutionären Konzept: Als Heckmotorwagen dreht er den bis dato meist geltenden Grundaufbau eines Automobils im Wortsinn um.
Im Juni 1933 sieht Kissel eine Änderung der Marktlage voraus. Das Protokoll zu einer Vorstandssitzung vermerkt: „Zu der Frage, ob durch den 1,3 Liter die grösseren Typen leiden werden, bemerkt Herr Kissel, dass die Typenorientierung nach unten geht, und dass die Käuferkreise für den Wagen über RM 4400,- immer kleiner werden. Grössere, auch die 6-sitzigen, Wagen müssen also zwangsläufig an Bedeutung verlieren.“ Markant ist zudem noch eine Bemerkung Kissels vor dem Hintergrund der damaligen Zeit: „Auch dürfe als weiterer Gesichtspunkt für die jetzigen Überlegungen nicht unbeachtet bleiben, dass eine Preisordnung kommen wird. Das Handeln werde verschwinden, wie das Parlamentieren beseitigt wurde. Bei Festpreisen aber werde unser Anteil in der Wagenklasse um RM 4400,- ohne den 1,3 Liter wahrscheinlich von 10 % auf 6 % sinken. Um den heutigen Anteil zu halten und zu festigen, müsse also der 1,3 Liter kommen.“
Kissel rechtfertigt die Entscheidung für den neuen Typ auch bei anderer Gelegenheit mit den Worten: „Dass angesichts des nach unten fliehenden Marktes zwei Möglichkeiten bestanden: Entweder den Typ 170 so zu verbilligen, dass der Verkaufspreis wesentlich niedriger gesetzt werden konnte oder den Anschluss nach unten durch die Schaffung einer neuen Type zu gewinnen. Man musste sich zur 2. Lösung entschließen und den 1,3 Ltr. bringen.“
Aber auch in der Öffentlichkeit ist der Ruf nach praxisgerechten kleinen Automobilen vorhanden. Einer der nimmermüden Herolde ist neben den Konstrukteuren Edmund Rumpler, Hans Ledwinka, Béla Barényi und Carl Slevogt der Journalist und Chefredakteur des Fachblatts „Motor Kritik“, Joseph Ganz, der selbst einige Kleinstwagen mit Heckmotor und Einzelradfederung konstruiert hatte, beispielsweise den Standard Superior. Ganz, der stets engen Kontakt zu Kissel hält, aber vor allem auch zu Nibel und Jakob Krauß, dem Leiter der Versuchswerkstatt, schreibt in einer frühen Betrachtung: „In Untertürkheim, wo ich seit Sommer 1930 ständig auf Bau eines größeren Heckwagens drängte, wurde die Angelegenheit mit Ernst aufgegriffen. Zur Überwindung der letzten Vorurteile wurde der Maikäfer [Anmerkung: die Ganz’sche Kleinstwagenkonstruktion mit Heckmotor] im Winter 1931 per Lastauto nach Untertürkheim geschafft und dort einen Tag vom Vorstand und vom Versuch geschlaucht. Gleichzeitig mit Fertigstellung des verstärkten Maikäfers, des Standard Superiors, bei der Standard-Fahrzeugfabrik in Ludwigsburg, wurde nach im Wesentlichen gleichen Prinzipien der Mercedes-Heckmotorwagen, der jetzige Typ 130 von Konstrukteuren des Werks ausgebildet.“
Im Deutschland der 1930er Jahre gibt es ein weiteres Projekt, das die Branche bewegt: das des Volkswagens. Dieser Begriff bezeichnet damals die Gattung und gewünschte Ausrichtung des Fahrzeugs, keinen bestimmten Typ. Die Volkswagenwerk GmbH nimmt erst 1939 die Serienfertigung des Fahrzeugs auf, das als „Käfer“ bekannt wird.
Kissel drängt auf die Beteiligung am Volkswagen-Projekt und fordert, „[...] dass trotz des 1,3 Ltr. Wagens die Konstruktion des sogenannten Volkswagens und die erforderlichen Vorstudien mit allem Nachdruck weiterbetrieben werden.“ Das Projekt lässt den Vorstand auch ein dreiviertel Jahr später noch nicht los, als man feststellt: „Bei der Diskussion über die Schaffung eines billigeren und kleineren Wagens ergab sich, dass es der Daimler-Benz AG wohl möglich sein könnte, vielleicht noch ein Fahrzeug in der Preislage bis zu M 2000,- bis 2200,- herauszubringen, dass es aber als unmöglich anzusehen sei, dass unsere Firma einen noch billigeren Wagen bringen könne. Die Frage ob wir uns mit der Entwicklung eines solchen Wagens befassen sollen, wurde zunächst dahingehend entschieden, dass man sich zuerst mit dem Problem Volkswagen beschäftigen müsse. Weil die Daimler-Benz AG in Bezug auf das Problem Volkswagen gewisse Bindungen mit der Einstellung und den diesbezüglichen Erklärungen des Führers habe, müsse unsere Firma im Mittelpunkt dieser Angelegenheit bleiben. Da wir nach den bisherigen Erfahrungen selbst nichts Positives schaffen können, kam man zu dem Ergebnis, die deutschen Personenwagenfabriken zu einer Aussprache zusammenzubringen um zu sehen, ob bei Heranziehung aller Kräfte das Problem Volkswagen gelöst werden kann.“
Kern dieser Aussage Kissels ist die Erkenntnis, dass auf privatwirtschaftlichem Weg ein Fahrzeug mit einem Verkaufspreis von 990 RM (Reichsmark), wie von Adolf Hitler gefordert, von einer einzelnen Firma nicht herzustellen und zu vertreiben ist. Dabei darf nicht vergessen werden, dass zum Vertrieb auch die Herstellung, Bevorratung und Verteilung von Ersatzteilen sowie die Bereitstellung eines Servicenetzes gehören. Das gilt auch und besonders angesichts bevorstehender Kontingentierung von Rohstoffen und der Segmentierung sowie Zuteilung bestimmter Klassen, in denen sich die einzelnen Firmen zu bewegen haben.
Es ist eine schwierige Zeit. Doch Daimler-Benz begegnet ihr offensiv: Der neue kleine Mercedes-Benz mit Heckmotor ist ein mutiger Schritt nach vorn. Er folgt einem umfassenden innovativen Konzept und gibt der Automobilwelt der 1930er Jahre wichtige Impulse.
Mercedes-Benz 130 (Baureihe W 23, 1934 bis 1936)
- Der konsequente Neuentwurf erfordert ein anderes Design
- Die Karosserie ist aerodynamisch günstig gestaltet
- Tester loben den Komfort und das Fahrverhalten
Der Mercedes-Benz 130 (W 23) wird im März 1934 auf der IAMA in Berlin vorgestellt. Er ist zum Zeitpunkt der Präsentation nicht nur der kleinste Serien-Pkw, der erste Heckmotorwagen und das erste Vierzylindermodell der Daimler-Benz AG, sondern auch der erste in Großserie hergestellte deutsche Heckmotorwagen, sieht man einmal von diversen Kleinstwagen ab. Offiziell trägt er nie das „H“ in der Typenbezeichnung, wenngleich es in werksinternen Dokumenten vielfach verwendet wird.
Der Typ 130 folgt einem vollkommen neuen Entwurf. Ein Originalprospekt fasst den Anspruch an das Fahrzeug zusammen: „Die Konstruktion des Mercedes-Benz Typ 130 ist zweifellos eine der interessantesten Aufgaben gewesen, die jemals im Automobilbau zu lösen war, galt es doch, einen Wagen zu schaffen, der die Fahreigenschaften eines größeren Schwingachsers, den Raumkomfort eines modernen Mittelwagens und die Betriebskosten eines Kleinwagens besitzen sollte.“
Auch die Gründe für das Heckmotorkonzept werden benannt: „Der Motor wurde zwecks besserer Raumgestaltung, Konzentration der gesamten Kraftzentrale, Verminderung des Gewichts und des technischen Aufwands an das Heck verlegt.“ Das biete drei Vorteile: „Erstens bildet der Motor mit dem Getriebe, dem Differential und der Hinterachse ein geschlossenes und leicht zugängliches Aggregat. Zweitens wurde durch die Verlegung des Motors nach hinten bedeutend an Raum für die Insassen gewonnen. Drittens konnte der Platz für alle vier Passagiere zwischen die beiden Achsen verlegt werden, wodurch das Fahren beträchtlich an Annehmlichkeit gewinnt.“
Das geringere Gewicht resultiert beispielsweise daraus, dass keine Kardanwelle notwendig ist, was zugleich aufgrund fehlender Übertragungsverluste die Ausbeute der Motorleistung verbessert.
Ein weiterer Prospekt wirbt 1934 für das Fahrzeug: „Bei diesem Typ handelt es sich um einen Qualitäts-Gebrauchswagen für breiteste Kreise, welcher dank der Anwendung von patentierten Schwingachsen vorn und hinten, tiefer Straßenlage, Verlegung des Motors an das Heck, breiter Spur und günstiger Gewichtsverteilung über unvergleichliche Fahreigenschaften verfügt.“
Wer sich auf der IAMA dem Daimler-Benz Stand nähert und sich auf die Begrüßung durch die gewohnten Kühlergesichter der Mercedes-Benz Personenwagen eingestellt ist, wird überrascht. Dem Besucher blinzelt ein neues und sehr ungewohntes Gesicht entgegen, das den Beginn einer neuen Epoche im Fahrzeugbau signalisiert. Lediglich der Mercedes-Stern zeigt dem Besucher, dass er am richtigen Stand steht. Der neue kleinere Mercedes-Benz sorgt in seiner Fahrzeugklasse mit dem bis dahin noch nicht sehr verbreiteten Heckmotor, ein Vierzylinderaggregat, und mit neuen Proportionen für Aufsehen und Nachdenken. Stämmig und unumwerfbar wirkt er im direkten Vergleich mit seinen schmalspurigen und hochbeinigen Klassengenossen, sehr selbstbewusst steht er auf vier einzeln gefederten Rädern.
Der neue Typ macht neugierig und weckt fast die Erwartung, innen größer als außen zu sein – und enttäuscht nicht. Er überrascht mit einem erstaunlich geräumigen Innenraum, nicht viel kleiner als beim Mercedes-Benz 170 mit Sechszylindermotor, dem bis dahin kleinsten Fahrzeug von Daimler-Benz. Die recht große und ungeteilte Windschutzscheibe lässt einen ungehinderten Blick nach draußen zu. Die beiden großen Seitentüren ermöglichen in Verbindung mit den abklappbaren Vordersitzlehnen einen recht guten Zugang zur höher angebrachten Fondsitzbank, hinter deren Lehne noch Raum für einen größeren Koffer ist. Unter der vorderen Haube ist Platz für das waagerecht liegende Reserverad sowie Werkzeug und kleinere Reiseutensilien. Eine große Ausnahmeerscheinung der damaligen Zeit und in dieser Fahrzeugkategorie ohnehin ist die serienmäßige Warmluftheizung.
Frischluftvergnügen inklusive: Mercedes-Benz 130 Cabrio-Limousine (Baureihe W 23, Bauzeit: 1934 bis 1936). Im Foto ein Fahrzeug nach der Modellpflege des Jahres 1935.
Foto: Daimler AG
Der 1,3-Liter-Vierzylindermotor ist eine Neukonstruktion mit stehenden Ventilen und Steigstromvergaser, leistet 19 kW bei 3400/min und ermöglicht eine Höchstgeschwindigkeit von 92 km/h. Damit ist das Fahrzeug sogar geringfügig schneller als der Typ 170. Zupass kommt ihm dabei seine für die damalige Zeit günstige Form. Mit einem Luftwiderstandsbeiwert von cW=0,516 liegt er auf dem Niveau eines Mercedes-Benz 230 SL von 1963 mit Hardtop, der auf einen Wert von cW=0,515 kommt, und deutlich unter dem in der Vorkriegszeit weit verbreiteten Mercedes-Benz Typ Stuttgart mit cW=0,662. Selbst ein VW Käfer von 1966, der noch den Vorteil der eingelassenen Scheinwerfer hat, liegt mit cW=0,498 nicht so viel besser, wie es die Differenz von 32 Jahren vermuten lässt.
Der Kraftstofftank mit 30 Liter Volumen befindet sich rechts neben dem Motor. Das zur besseren Achslastverteilung vor der Hinterachse platzierte Dreigang-Getriebe hat als vierte Fahrstufe einen Schnellgang, der dem Trend der damaligen Zeit entsprechend eine Overdrive-Funktion erfüllt. Dieser Schnellgang wird ohne das Treten des Kupplungspedals vorgewählt und durch das Loslassen des Gaspedals geschaltet. Beim anschließenden erneuten Gasgeben rastet der Gang automatisch ein. Hydraulische Vierradbremsen, auch noch nicht Standard dieser Fahrzugklasse in jenen Jahren, sorgen für eine sichere Verzögerung.
Der Motor bietet beachtliche Hubraum-Reserven und erlebt in den 1950er Jahren als 1,8-Liter-Motor in den Typen 180 und 170 S-V seinen Höhe- und zugleich Endpunkt.
Der Typ 130 ist als zweitürige Limousine und als zweitürige Cabrio-Limousine lieferbar. Für Behörden-Sonderzwecke werden auch Versionen als offener Tourenwagen und Kübelwagen angeboten. Zudem hat es Pläne gegeben, auch das blanke Fahrgestell für Sonderkarosserien anzubieten, doch für die Umsetzung fehlen Nachweise.
Das komplett aus einem Stück gepresste Dach der Limousine ist für damalige Verhältnisse nicht alltäglich. Die meisten Autodächer jener Zeit bestehen in ihrer großen Mittelfläche aus einer tragenden Holzkonstruktion, die von einem Stoffbezug abgedeckt ist. Für das neue große Pressteil schafft das Unternehmen für das Werk Sindelfingen eigens eine hydraulische Presse mit entsprechenden Gesenken an.
Die Bezeichnung Cabrio-Limousine charakterisiert die zweite Fahrzeugvariante sehr exakt: Das Stoff-Faltverdeck öffnet auf Wunsch Dach und hintere Partie, während die Fahrzeug-Seitenwände feststehend sind.
Das neue Konzept erfordert ein neues Design
Das Äußere des neuen Automobils erfordert ein völliges Umdenken bei der eher konservativ geprägten Mercedes-Benz Kundschaft. Denn der Heckmotorwagen benötigt keinen klassischen, vorn angesiedelten Kühler, und bei Daimler-Benz ist man der Versuchung auch nicht erlegen, dem Fahrzeug durch einen Pseudokühler das Aussehen eines traditionell geprägten Frontmotorfahrzeugs zu verleihen. Zwar gibt es entsprechende Versuche und Vorschläge aus dem Hause, doch man entscheidet sich konsequent für eine klare Gestaltung als Heckmotorfahrzeug. Dazu gehört auch ein Mercedes-Stern mit Umrandung, der auf der Fronthaube in die über die Haube laufende Wulst eingebettet ist.
Ein markanter Teil der neuen Fahrzeugoptik sind zudem Einlassgitter In den Seitenflächen unter den hinteren Seitenfenstern für die Luftzufuhr des über der Hinterachse platzierten Wasserkühlers. Die geschwungene Motorhaube prägen drei längs über die Haube verlaufende Entlüftungsschlitze, die aufgrund der darüber angebrachten Abdeckbleche dem Fahrzeug eine markante und unverwechselbare Heckansicht verleihen.
Somit präsentiert sich der Typ 130 mit vollkommen eigenständigem Design, das ihn in der damaligen Zeit durchaus avantgardistisch wirken lässt – und was den Markterfolg dieses Fahrzeugs nicht gerade erleichtert. In ihrer klaren Konsequenz verdient die Entscheidung für die Eigenständigkeit große Achtung. Dieser Umstand wird auch in der damaligen Presse gewürdigt. So schreibt Wolfgang von Lengerke 1933 in Heft 53 von „Motor und Sport“ in einem Artikel mit der Überschrift: „Form? Eine nachdenkliche Betrachtung über den neuen MB 130.“:
„Eine bekannte Form ist immer bedingt durch Tradition. Tradition aber setzt einen Entwicklungsgang voraus. Da wir es hier jedoch mit einer für die Kraftfahrzeugproduktion ganz neuen und entwicklungsfähigen Form zu tun haben, wäre es unbillig, jetzt schon eine klassische Vollendung derselben zu verlangen. Welche Möglichkeiten hier noch im Schoße einer zukünftigen normalen Weiterentwicklung liegen, beweist am besten die Empfindung, die man hat, wenn man in diesem Wagen fährt. Man sitzt bequem und breit, große weite Fenster vermitteln einen freien Überblick über die Landschaft. Die Abfederung ist so weich und vollkommen, dass der Charakter der Fahrbahn überhaupt kaum mehr empfunden wird. Derjenige, dem dieser Wagen vielleicht äußerlich noch nicht gefallen sollte, weil er den bisherigen traditionellen Formelementen eine revolutionäre Idee bewusst entgegenstellt, wird, sobald er ihn gefahren ist, eine gewaltige Überlegenheit für die Zukunft anerkennen.“
Der Typ 130 ist, wie man den Produktionsstatistiken des Hauses entnehmen kann, im Gegensatz zu später oft geäußerten Meinungen durchaus erfolgreich. Verzeichnet die Statistik im Jahr der Serienvorbereitung 1933 noch exakt ein Exemplar der zweitürigen Limousine vom Typ 130, entstehen 1934 bereits 2205 Stück, die zu einem Preis von jeweils 3425 RM angeboten werden. 1935 werden 1781 Stück (3680 RM) gefertigt, im Jahr 1936 noch 311 Stück (3200 RM).
Zum direkten Vergleich: Vom Typ 170 (W 15) enthält die Produktionsstatistik zur viertürigen Limousine für das Jahr 1933 die Zahl von 3130 Stück (4400 RM). 1934 werden 2508 Stück (4150 RM) hergestellt, 1935 insgesamt 3020 Stück (3950 RM), und im Jahr 1936 sind es 497 Stück (3950 RM).
Der Absatz des Heckmotorautos darf umso mehr beeindrucken, da es ja in der Gesamtheit seines Entwurfs ein sehr avantgardistisches Konzept verkörpert, bei dem manch angestammter Mercedes-Benz Kunde Berührungsängste gezeigt hat.
Ein grundlegend neuer Entwurf
Für den Typ 130 wird ein neuer Zentralrohr-Rahmen konstruiert, der hinten gegabelt ist, um den Motor aufzunehmen. Für einen tiefen Schwerpunkt sind die Querträger zur Aufnahme der Karosserie unterhalb des Zentralrohres angebracht. Die Sitzplätze sind in der am besten gefederten Zone des Wagens zwischen den Achsen angesiedelt. Die Vorderachskonstruktion hat, wie beim Typ 170, Einzelradaufhängung, zwei übereinander liegende Blattfederpakete, die am vorderen Chassisquerträger befestigt sind, und Hebelstoßdämpfer. Die Zweigelenk-Hinterachse hat zwei Spiralfedern.
Mercedes-Benz 130 (Baureihe W 23, 1934 bis 1936).
Foto: Daimler AG
Der ursprüngliche Impuls zum Heckmotorfahrzeug kann eindeutig zugeordnet werden, wie der Konstrukteur Josef Müller in seinen Lebenserinnerungen schreibt: „Max Wagner erinnerte sich seines ‚Benz-Tropfen’ mit Heckmotor, eigentlich Mittelmotor.“ Die Konzeption des neuen Fahrzeugs ist schwierig – vor allem, weil man bis dato kaum auf Erfahrungen mit Heckmotorautos verweisen kann. Müller berichtet: „Aus einer Versuchsausführung mit einem luftgekühlten Vierzylinder-Boxermotor hatte man bereits erfahren müssen, dass der Motorgetriebeblock nicht direkt am Zentralrohrrahmen angeschraubt sein dürfe, sondern aus Geräuschgründen in einer Rahmengabel elastisch aufgehängt und möglichst wassergekühlt sein sollte. Leider erlag man bei der Motorauswahl noch der Versuchung, statt des kurzen Boxermotors den längeren, wenn auch einfacheren Reihenvierzylinder zu nehmen. Die ersten Versuchsfahrten waren keineswegs zufriedenstellend. Der [...] Geburtsfehler der Pendelachse wirkte sich im Zusammenspiel mit der großen Hecklastigkeit stärker als erwartet aus. Trotzdem gelang es, durch peinliche Abstimmung der Reifen- und Federweichheiten zwischen Vorder- und Hinterachse und Lösung der Geräuschfrage, aus dem zunächst recht störrischen Vehikel ein brauchbares Gefährt zu machen.“
Das Fahrverhalten sorgt immer wieder für interne Diskussionen. So äußert sich im November 1933 der Untertürkheimer Betriebsdirektor Hans H. Keil in einer technischen Sitzung sehr besorgt und wird im Protokoll zitiert: „Herr Keil brachte zum Ausdruck, dass er und Herr Uhlenhaut die schlechte Strassenlage des Hecktriebwagens festgestellt habe und dass er über den Fahrzeugtyp äusserste Besorgnis hege.“
Die Feinabestimmung verbessert das Fahrverhalten
Doch das Unternehmen findet technische Lösungen, um die Fahreigenschaften zu verbessern. So erweist sich die von Müller erwähnte Feinabstimmung als erfolgreich, was erste Fahrberichte auch belegen. Die Fachpresse begegnet dem neuen Auto zunächst mit Skepsis, erkennt dann aber das Aufwändige und auch den frühen Reifegrad des Konzepts. Der Journalist Joseph Ganz, der die Möglichkeit hatte, einen Vorserienwagen noch vor der offiziellen Vorstellung zu fahren, geht im folgenden Bericht auch auf die Fahreigenschaften des neuen Typ 130 ein:
„Ich hatte Gelegenheit, den Wagen jüngst einer ausgedehnten Probefahrt zu unterziehen. Motorisch verhält sich der MB 130 Heckmotorwagen fast gleich wie der MB 170 [mit Frontmotor]. Auch die Fahrleistungen entsprechen einander beinahe vollkommen. Interessant ist, dass man im Wageninneren den an sich durchaus nicht leisen Motor in keiner Weise lästig empfindet. Leerlauf, Anzug und Stehvermögen: einwandfrei.
Und nun zum Wichtigsten, den Straßeneigenschaften: Der MB 130 ist eigentlich kein Heckmotorwagen in Reinkultur. Er ist mehr ein ‚Aussenbordmotor’-Wagen. Der Motor ist nach hinten weit übergebaut, was unerwünschte Schwanzlastigkeit verursacht. Dies hat vorn Stoßdämpfer erforderlich gemacht, und das bedeutet sozusagen das Fehlen des Tüpfelchens auf dem i der Fahreigenschaften, wie man sie von kompromissfreien Heckmotorwagen gewöhnt ist. Daraus ergeben sich Mängel, die den feinfühligen Fahrer, den Kenner, stören. Hat man das dadurch hervorgerufene unbehagliche Gefühl, als ob der Wagen etwas schwimme und in den Kurven hinten herum zu kommen strebe, überwunden, und stellt man dann Vergleiche zu einem x-bliebigem anderen Fahrzeug mit vorn liegendem Motor an, so fallen sie weitaus zu Gunsten des MB 130 aus. Die Federung ist einzigartig. Stöße fehlen vollständig. Übrig geblieben ist nur ein sanftes Wiegen, wodurch die Reise zu einem Genuss werden muss. Und die Lenkbarkeit ist beinahe vollendet. Der Wagen reagiert auf jedes Streicheln des Lenkrads. Es ist ein ausgesprochen kultiviertes Fahren. Bremsen sanft und sehr wirksam. Gute Straßenübersicht, tadelfreie Lüftung. Kein Gasgeruch im Wagen.
Um alle Möglichkeiten des Heckmotorwagens auszukosten, fuhr ich auf verschneiten und teilweise vereisten Wegen auf den Feldberg im Taunus, der in diesen Tagen von Motorfahrzeugen fast vollkommen gemieden wurde. Der vier Tage alte Schnee war noch durchaus jungfräulich. Der Wagen kam nur ein einziges Mal, infolge einer Schneewehe, wenige Grade aus der beabsichtigten Fahrtrichtung, ließ sich aber sofort wieder fangen. Sonst hielt er Spur wie manch anderer nicht auf einer Splitstrasse. Der MB 130 ist schon eine ganz große Sache. Er steht mit Abstand über allen mir bekannten Fahrzeugen der gleichen Klasse. Er ist aber noch weiterentwicklungsfähig durch Verlängerung des Radstands nach hinten und Verlegung der gewichtigen Motormasse näher zum Wagenschwerpunkt.“
Ganz’ Kollege Stephan von Szénasy kommt 1934 in Heft 14 des Fachmagazins „Motor und Sport“ zu ähnlichen Erfahrungswerten, als er im Prüfungsbericht Nr. 105 feststellt: „Mit jedem Wagen, der irgendwie aus dem Alltäglichen herausfällt, beschäftigt man sich schon vor Antritt einer Testfahrt ganz eingehend. Der Typ 130 von Mercedes-Benz stellt in jeder Hinsicht ein Novum dar. Heckmotor – das heißt die Hauptmasse des Fahrzeugs im Rücken [zu] haben. Die theoretischen Erwägungen konnten somit zu der von Daimler-Benz gewählten Bauanordnung nicht von vorneherein restloses Vertrauen geben. Um so eindrucksvoller dürfte die durchaus positive Kritik sein, die Gegenstand dieses Testberichts ist.
Man muss, genau so wie dies bei der ersten Fahrt mit einem Fronttriebler der Fall ist, in gewissem Sinne umlernen, insbesondere was das Kurvenfahren anbetrifft. Nach einem halben Tag Fahrversuche im Stadtverkehr ging es hinaus auf die Chaussee. Am Ende der ersten Fahrstunde waren genau 67 km zurückgelegt, eingeschlossen die Durchfahrten durch Spandau und Nauen. Das sagt eigentlich schon alles. Man erreicht mit dem 130er Mercedes Fahrdurchschnitte, die an die des so hervorragenden Typs 170 herankommen, trotzdem nur eine um 400 ccm kleinere Maschine die Kraftquelle ist. Die Leistungseigenschaften sind also in jeder Hinsicht zu loben. Eine Höchstgeschwindigkeit von 92 km/h – auf der Avus gestoppt – sind für einen Wagen von dieser Größenordnung durchaus nicht alltägliche Leistungseigenschaften.
Wie die Straßenlage ist? Der Mercedes-Benz 130 weist unter allen vorgekommenen Betriebsbedingungen – der Wagen konnte allerdings nur auf trockener Straße erprobt werden – einen sehr hohen Sicherheitsfaktor auf. Die Straßenhaftung ist einwandfrei, ebenso die Unempfindlichkeit gegenüber schlechtem Fahrbahnzustand. Was die Kurvensicherheit betrifft, so ist diese durchaus zu loben, wenn man sich nur einigermaßen an die Eigenarten des Wagens gewöhnt hat, der eben eine etwas veränderte Fahrtechnik erheischt.“
Sechs Mercedes-Benz 130 nehmen 1934 an der Fernfahrt „2000 Km durch Deutschland“ teil. Drei gelangen ins Ziel und erhalten dafür eine Goldmedaille (mit Sollzeit ins Ziel), eine Silbermedaille (bis 30 Minuten über Sollzeit) und eine Bronzemedaille (bis 60 Minuten über Sollzeit). Die Marke beteiligt sich mit einem großen Aufgebot an der Veranstaltung, an der rund 650 Pkw teilnehmen, zusätzlich zu einem ebenfalls großen Feld von Motorrädern: Neben den kompakten Heckmotorfahrzeugen sind auch die Mercedes-Benz Typen SSK, SS, 500 K, 380, 290, 200, 170 und 150 vertreten.
Modellpflege mit Detailverbesserungen
1935 erhält der neue kleine Mercedes-Benz Verbesserungen vor allem an Karosserie und Innenausstattung. Beispielsweise ein überarbeitetes Armaturenbrett: Zwei große Rundinstrumente mit elfenbeinfarbenen Zifferblättern sind direkt vor dem Fahrer platziert, auf der Beifahrerseite befindet sich ein größerer Handschuhkasten mit Deckel und eingebauter Uhr. Die Vordersitze bekommen eine verbesserte Polsterung und sind jetzt durch eine „Momentanverstellung“ komfortabel verstellbar – die vorherige archaische Lösung durch das Lösen von Schrauben gehört der Vergangenheit an. Die Gummimatten auf dem Fußboden werden durch Teppichmatten ersetzt. Im Vorbau sind unterhalb der A-Säule je eine Lüftungsklappe für den Fußraum eingebaut, von außen erkennbar an je zwei Schlitzen rechts und links oberhalb der vorderen Kotflügel. Um die Fahreigenschaften zu verbessern, sind die Abstimmung von Federn und Stoßdämpfern und der Sturz der Vorderräder geändert. Diskutiert wird außerdem eine indirektere Lenkung, aber es ist unklar, ob sie zum Einsatz gekommen ist. Schon vor Beginn des neuen Modelljahrs hatte man den Typ 130 mit Vigot-Wagenheber ausgerüstet. Zudem ist die vordere Haube modifiziert worden, die ja bei diesem Heckmotorauto den dort befindlichen Kofferraum verschließt: Sie umfasst nun nicht mehr die stehenden Seitenteile, sondern liegt auf. Die Fahrzeuge des Jahres 1935 sind bis auf die komplett schwarzen Varianten weitgehend zweifarbig lackiert, wobei die Kotflügel auf Wunsch in Schwarz oder in der zweiten Wagenfarbe gehalten sind.
Frischluftvergnügen inklusive: Mercedes-Benz 130 Cabrio-Limousine (Baureihe W 23, Bauzeit: 1934 bis 1936). Im Foto ein Fahrzeug nach der Modellpflege des Jahres 1935.
Foto: Daimler AG
Restbestände der ursprünglichen Variante sind als „Modell 34“ zunächst weiterhin lieferbar und noch bis Juli 1935 in der Preisliste enthalten, bei einem um 225 RM reduzierten Preis für Limousine und Cabriolimousine. Das „Modell 35“ ist demgegenüber um 480 RM respektive 500 RM höher positioniert.
Im Oktober 1935 wird beim Typ 130 noch eine technische Änderung wirksam, die die Betätigung des Kraftstoffhahns vom Fahrersitz aus gestattet. Gleichzeitig reduziert sich der Preis des sogenannten „Herbstmodells 1935“, das dieses Merkmal noch nicht hat, um 580 RM respektive 600 RM. Eine nur zwei Monate später durchgeführte Preissenkung des „Wintermodells 1935“ bereitet allerdings schon die Markteinführung des Nachfolgers vor. Im Februar 1936 löst der leistungsstärkere und in vielen Punkten neu konstruierte Typ 170 H den 1,3-Liter-Wagen ab. Als Auslaufmodell ist der Typ 130 noch bis Februar 1937 in der Preisliste zu finden.
An den Typ 130 ist übrigens noch eine weitere Neuerung geknüpft: Mit ihm beginnt die Auslandsfertigung der Daimler-Benz AG. 1935 werden in Dänemark die ersten Heckmotorwagen montiert, um auf die dort stark gestiegene Nachfrage zu reagieren. Die Fahrzeugteile werden komplett aus Deutschland geliefert.
Mercedes-Benz 130 (Baureihe W 23)
Zylinder: 4 (Reihe)
Hubraum: 1308 cm³
Leistung: 19 kW bei 3400/min
Höchstgeschwindigkeit: 92 km/h
Produktionszeitraum: 1934 bis 1936
Mercedes-Benz 150 Sport-Limousine (Baureihe W 30, 1934)
- Ein Zweisitziges Coupé mit Mittelmotor
- Konstruiert für den Einsatz bei Sportveranstaltungen
- Die Stromlinienkarosserie reflektiert Zeitströmungen mit Geschwindigkeit als Prinzip
Der vorgelegte Entwurf sieht eine zweisitzige so genannte Sport-Limousine – heute würde man sie als Coupé oder Sport-Coupé bezeichnen – mit einer für die damalige Zeit strömungsgünstigen Form vor. Das fertige Fahrzeug erinnert an die späteren VW Käfer der Nachkriegszeit. Markant im Heckbereich sind die Hutzen in der Dachpartie sowie die zahlreichen Lufteinlässe für die Frischluftversorgung des Motors. Der Mercedes-Stern steht frei auf der vorderen Haube.
Mercedes-Benz 150 Sport-Roadster (Baureihe W 30, 1934 bis 1936)
Foto: Daimler AG
Der Clou an dieser Konstruktion gegenüber dem Mercedes-Benz 130 ist die Anwendung des Mittelmotorkonzepts, das bis heute bei Sportwagen und auch in der Formel 1 Anwendung findet. Zur besseren Achslastverteilung ist das Antriebspaket von Motor und Getriebe um 180 Grad gedreht. Der Motor befindet sich vor der Hinterachse, das Getriebe dahinter.
Hier sieht Wagner eine Chance, das von ihm wegweisend schon ein Jahrzehnt zuvor am Benz-Tropfenrennwagen umgesetzte Konzept des Mittelmotorwagens auch bei Daimler-Benz einzuführen. Ferdinand Porsche, der diese Pläne ja aus seiner Zeit als Chefingenieur bei der Daimler-Motoren-Gesellschaft und der Daimler-Benz AG kennt, ist ungefähr zur gleichen Zeit dabei, eben dieses Konzept in die Tat umzusetzen, unter anderem an seiner Konstruktion des Auto Union P-Rennwagens.
Eine weitgehende Neukonstruktion ist der Vierzylinder-Reihenmotor. Er hat einen Hubraum von 1,5 Litern, entsprechend dem Sportgesetz für die avisierte Teilnahmeklasse, einen Doppelvergaser und eine oben liegenden Nockenwelle, die durch Stirnräder angetrieben wird. Diese Bauform ist im Rennmotorenbau bei Daimler-Benz damals durchaus Stand der Dinge. Im Gebrauchsfahrzeug dominieren hingegen Motoren mit unten liegenden Nockenwellen und Steigstromvergasern, eine nicht gerade leistungs- und verbrauchsfördernde Konstruktion, die sich allerdings durch Laufruhe und Zuverlässigkeit auszeichnet.
Sportfahrzeug mit Hochleistungsmotor
Die Summe der Maßnahmen holt aus dem Vierzylinderaggregat eine Leistung von 40 kW – für einen 1,5-Liter-Motor ein beachtlicher Wert, der Zugleich den Fortschritt im Motorenbau markiert. Zum Vergleich: Der Vierzylindermotor des Typ 130 bietet 19 kW, die Sechszylindertypen 170 und 200 liegen bei 24 kW und 29 kW. Auf der Antriebsseite sind für den Typ 150 zwei Antriebsachsübersetzungen und unterschiedliche Getriebeübersetzungen der Gänge 3 und 4 vorgesehen. Mit der längsten Übersetzung wird eine Höchstgeschwindigkeit von 131 km/h errechnet. Gegenüber dem Typ 130 ist der Radstand um 100 Millimeter verlängert und die vordere Spurweite um 30 Millimeter verbreitert. Dieser Sportmotor kommt im Übrigen auch in einigen Geländesportwagen der 1930er Jahre vom Typ 150 zum Einsatz, dort allerdings in Frontposition.
Die Bedenken, dass die zur Homologation für die Teilnahme erforderlichen 50 Fahrzeuge innerhalb von sechs Monaten nicht gebaut werden können, zerstreut Fritz Nallinger mit Hinweis auf die weitgehende Verwendung von Serienteilen aus dem Typ 130 – das Unternehmen darf mit dem neuen Fahrzeug an der Zuverlässigkeitsfahrt teilnehmen.
Hochleistungs-Aggregat: Der Motor des Mercedes-Benz 150 (Baureihe W 30, 1934 bis 1936) entwickelt aus einem Hubraum von 1,5 Liter die damals beachtliche Leistung von 40 kW. Er ist in Mittelposition montiert.
Foto: Daimler AG
Vom Typ 150 als Sport-Limousine werden für den Einsatz bei der 2000-Kilometer-Fahrt, die vom 21. bis 27. Juni 1934 stattfindet, sechs Stück gebaut und eingesetzt. Bei ihrem Debüt sind sie eine Sensation. So schreibt ein ungenannter Kommentator in der Fachzeitschrift „Motor und Sport“: „Man erlebte höchst interessante Überraschungen technischer Art in Baden-Baden[, dem Start-Ort der Fernfahrt], denn es erschienen erstmalig viele neue im geheimen entwickelte Wagenmodelle. Daimler-Benz kam mit einer Sensation in Gestalt eines neuen Heckmotorwagens mit kopfgesteuertem 1 1/2-Liter Motor heraus. Dadurch, dass der Motor vor der Achse liegt geht zwar nutzbarer Innenraum verloren, aber die Fahreigenschaften dürften in hohem Maße gewonnen haben. Interessant ist an diesem Sportwagen die völlig geschlossene Form, die stromlinienförmig verläuft. Die neue Anordnung des Heckmotors ermöglicht eine besonders zweckmäßige Formgebung des Hinterteils des Wagens.“
Daimler-Benz schickt neben den Fahrzeugen vom Typ 150 unter anderem auch noch ein Mercedes-Benz 500 K Stromliniencoupé, ein Vorläufer des späteren „Autobahnkurier“, auf die „2000 Km durch Deutschland“. Die Stromlinien-Karosserieform reflektiert die Zeitumstände: Die Massenmotorisierung schreitet in den 1920er und vor allem in den 1930er Jahren voran. Autobahnen werden gebaut, das Auto gewinnt somit in seiner Rolle als Fernreisemittel an Bedeutung. Dass Geschwindigkeit hier begleitend zum Prinzip erhoben wird, ist verständlich – die Stromlinienkarosserien sorgen nicht nur aufgrund der besseren Aerodynamik für ein höheres Tempo, sie spiegeln es auch wider und verkörpern zugleich Modernität.
Zwei der sechs eingesetzten Teams auf Mercedes-Benz 150 scheiden aus. Die anderen vier erhalten Goldmedaillen, eins davon mit dem späteren Rennfahrer Hermann Lang am Volant. Eine Goldmedaille erhält, wer die Strecke in der vorgegebenen Sollzeit absolviert, denn die 2000-Kilometer-Fahrt ist kein Straßenrennen, bei dem es um die Bestzeit geht. Zugleich ist sie der größte Einsatz des Mercedes-Benz 150.
Sein bedeutendster Erfolg aber kommt kurze Zeit später und ist aber relativ unbekannt: Bei der Fernfahrt Lüttich – Rom – Lüttich Ende August 1934 erringt Hans-Joachim Bernet den Sonderpreis für den bestplatzierten geschlossenen Wagen, nachdem er das Gesamtfeld zwischen Rom und Pisa angeführt und das Ziel ohne Strafpunkte erreicht hatte.
Der Verbleib der sechs Sport-Limousinen ist unbekannt.
Mercedes-Benz 150 Sport-Limousine (Baureihe W 30)
Zylinder: 4 (Reihe)
Hubraum: 1498 cm³
Leistung: 40 kW bei 4600/min
Höchstgeschwindigkeit: 131 km/h
Produktionszeitraum: 1934
Mercedes-Benz 150 Sport-Roadster (Baureihe W 30, 1934 bis 1936)
- Die offene Variante der Sport-Limousine
- Publikumspremiere 1935 auf der Auto- und Motorradausstellung in Berlin
- Das im Besitz der Daimler AG befindliche Fahrzeug ist vermutlich das einzige erhaltene
Nach dem Erfolg bei der 2000-Kilometer-Fahrt im Jahr 1934 weist Kissel im August darauf hin, „[...] dass es unumgänglich notwendig sei, zum Frühjahr 1935 einen kleinen schnittigen Sportwagen herauszubringen.“ Daraufhin beschließt der Daimler-Benz Vorstand im November 1934, für die IAMA in Berlin 1935 auf Basis des Mercedes-Benz 150 zwei Sport-Roadster fertigstellen zu lassen. Davon soll ein Fahrzeug auf dem Messestand präsentiert werden und das weitere für Probefahrten zur Verfügung stehen. Die Serienlieferung ist für den Monat Mai vorgesehen.
Sportwagen mit Mittelmotor: Mercedes-Benz 150 Sport-Roadster, Baujahr 1935 (Baureihe W 30, 1934 bis 1936).
Foto: Daimler AG
Ebenso wie Wilhelm Haspel als Leiter des Werks Sindelfingen nimmt Fritz Nallinger als Versuchschef im Januar 1935 zum neuen Sport-Roadster Stellung. Dabei wird als Besonderheit auf die Pressluftkühlung, die später auch beim Typ 170 H zum Einsatz kommt, die beiden seitlich hinter den Türen angebrachten Reserveräder und den in der Mitte der Front eingebauten Fernscheinwerfer hingewiesen.
Das Karosseriedesign des Sport-Roadsters unterscheidet sich grundlegend von dem der Sport-Limousine. Es ist vollkommen neu gezeichnet und hat einige typische Merkmale damaliger offener Sportfahrzeuge, beispielsweise die gepfeilte, geteilte Frontscheibe und die beiden frei stehenden Ersatzräder, die allerdings vor den hinteren Kotflügeln angebracht sind. Markant ist zudem das spitz zulaufende Boots-Heck mit zwei Nummernschildtafeln. Der Mercedes-Stern an der Frontpartie steht frei.
Ein Verkaufsprospekt preist das Fahrzeug als „rassigen Sportwagen“ an und hebt die Eigenschaften des Sportmotors sowie das vorzügliche Leistungsgewicht heraus. „Ein PS ist mit nur 19 kg belastet! Hier liegt die Erklärung dafür, dass der Typ 150 in allen Übersetzungen einen Anzug hat, der dem eines Kompressorwagens kaum nachsteht.“
Im technischen Aufbau inklusive Motor ist er mit der Sport-Limousine identisch. Die Pressluftkühlung ermöglicht die Verwendung eines kleineren Kühlers, da ein vom Motor angetriebenes und gekapseltes Gebläse die Kühlluft durch den Kühler presst. Der kleine rechteckige Kühler sitzt hinter dem Motor über der Hinterachse.
Hinter den Sitzen können sowohl das leichte, aufknöpfbare Verdeck als auch kleine Gepäckstücke untergebracht werden. Unter der vorderen Haube ist Raum für einen großen Koffer und den Kraftstofftank. Angeboten wird der Typ 150 auf der IAMA 1935 für 6600 RM.
Markantes Bootsheck: Mercedes-Benz 150 Sport-Roadster, Baujahr 1935 (Baureihe W 30, 1934 bis 1936).
Foto: Daimler AG
Der Mercedes-Benz 150 Sport-Roadster bleibt bis 1936 im offiziellen Verkaufsprogramm, doch wird er nur in äußerst kleiner Menge gebaut. Über die produzierten Stückzahlen liegen unterschiedliche Angaben vor. Eine Produktionsstatistik weist 20 Exemplare aus. Die Statistik der in Sindelfingen produzierten Karosserien gibt lediglich fünf gebaute Exemplare an – eine im Jahr 1934, vier im Jahr 1935. In den Kommissionsbüchern lassen sich dagegen nur zwei ausgelieferte Exemplare nachweisen. In jedem Fall ist der Typ 150 nicht nur eines der seltensten, sondern auch in seiner Zeit eins der technisch innovativsten Automobile der Marke Mercedes-Benz.
Ein Roadster aus dem Jahr 1936 befindet sich im Besitz der Daimler AG. Er ist Anfang der 1950er Jahre aus zweiter Hand mit einer Laufleistung von 44 500 Kilometern auf Vermittlung des ehemaligen Vorstandsmitglieds Jakob Werlin erworben worden. Er scheint das bis heute einzige noch überlebende Fahrzeug dieser sehr fortschrittlichen Typenreihe zu sein.
Mercedes-Benz 150 Sport-Roadster (Baureihe W 30)
Zylinder: 4 (Reihe)
Hubraum: 1498 cm³
Leistung: 40 kW bei 4600/min
Höchstgeschwindigkeit: 125 km/h
Produktionszeitraum: 1934 bis 1936
Mercedes-Benz 170 H (Baureihe W 28, 1936 bis 1939)
- Großer Fahrkomfort und ausgezeichnete Fahrleistungen
- Insgesamt eine ausgereifte Heckmotorwagen-Konstruktion
- Der hohe Preis ist dem Markterfolg im Weg
Schon Mitte 1933 wird neben dem Mercedes-Benz 130 eine hubraumstärkere Variante mit 1,5 bis 1,6 Litern in Erwägung gezogen. Sie wird ein halbes Jahr später zur Gewissheit, als man sich entschließt, dem 1,3-Liter-Wagen bald eine 1,6-Liter-Serie folgen zu lassen. Im Februar 1936 debütiert dann auf der Internationalen Automobil- und Motorrad-Ausstellung in Berlin der Mercedes-Benz 170 H (W 28), der den Typ 130 ablöst, zusammen mit dem Parallelmodell Typ 170 V (W 136). Offiziell wird nun das „H“ für „Heckmotor“ in der Typenbezeichnung verwendet; dieses Unterscheidungsmerkmal ist erforderlich zur Abgrenzung des Heckmotorwagens vom hubraumgleichen Typ 170 V mit vorn eingebautem Motor. Der grundsätzlich zweitürige Typ 170 H ist wie sein Vorgänger als Limousine und Cabrio-Limousine lieferbar. Ein offener Tourenwagen wird nicht angeboten.
Heckmotorwagen mit erheblich verbessertem Fahrverhalten: Mercedes-Benz 170 H Limousine (Baureihe W 28, Bauzeit: 1936 bis 1939).
Foto: Daimler AG
Klärend vorangestellt sei ein Sachverhalt, der für diese beiden 170er gilt. Auslöser ist die Tatsache, dass die beiden Baureihen bis kurz vor ihrer Vorstellung noch als 1,6-Liter-Wagen entwickelt worden sind und erst kurz vor Serienanlauf noch eine Hubraumerhöhung erhalten haben. So werden noch im März 1935 anlässlich einer Besprechung des Vorstands und zuständiger Direktoren über das Typenprogramm und die Fahrzeug-Dispositionen für die Ausstellungen in London und Paris 1935 sowie in Berlin im März 1936 die Fahrzeuge der Baureihe W 136 für Berlin als solche mit 1,6-Liter-Motor bezeichnet. Das führt dazu, dass in den Wagenbüchern zahlreiche Nummerngruppen, für die Fahrgestelle bereits vorsorglich reserviert sind, mit einem roten Stempel „1,6 Ltr.“ versehen sind. Auf diesen Seiten werden dann, nach der kurzfristig erfolgten Hubraumerweiterung von 1598 Kubikzentimeter auf 1697 Kubikzentimeter, die ersten Serien der neuen Fahrzeuge eingetragen, ohne allerdings den bereits vorhandenen Stempelaufdruck zu korrigieren. Beim Typ 170 H betrifft dies die Fahrgestellnummern 118771 bis 118780 und 136776 bis 137775.
Die Hubraumerweiterung, die vor allem einem höheren Drehmoment dient, ist einfach zu erreichen, indem man die Bohrung von 72 Millimeter auf 73,5 Millimeter erweitert, was in einem abgeänderten Arbeitsgang erfolgen kann, und anstelle der Kurbelwelle mit 98 Millimeter Hub eine mit 100 Millimeter Hub einbaut. In den Herstellungskosten schlägt sich das nicht nieder, zumal es mit denselben Rohlingen bewerkstelligt werden kann.
Der Vierzylindermotor des Typ 170 H entwickelt eine Leistung von 28 kW bei 3400/min und bringt das Auto auf eine Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h. Hierzu trägt neben der Karosseriegestaltung auch das geringere Fahrzeuggewicht aufgrund des kompakten Antriebsblocks und der nicht benötigten Kardanwelle bei, zugleich verbunden mit geringeren Kraftübertragunsverlusten. Das Fahrzeug hat im Unterschied zum Typ 170 V mit seinem Viergang-Getriebe ein Dreigang-Getriebe mit zuschaltbarem Schnellgang, genau wie der Typ 130, das aber nun als Viergang-Getriebe bezeichnet wird. Das wirkt sich auf die Gangreichweiten im Vergleich mit dem Typ 170 V nicht aus, da die Abstufung der Getriebe- und Achsübersetzungen so abgestimmt ist, dass die Gangreichweiten, trotz unterschiedlicher Getriebekonstruktionen mit denen des Typ 170 V fast identisch sind.
Heckmotorwagen mit erheblich verbessertem Fahrverhalten: Mercedes-Benz 170 H Limousine (Baureihe W 28, Bauzeit: 1936 bis 1939).
Foto: Daimler AG
Das weitere technische Konzept des Zentralrohrrahmens mit der hinteren Gabelung zur Aufnahme des Heckmotors entspricht grundsätzlich dem des Typ 130. Die prinzipielle Tendenz zum Übersteuern ist nach wie vor vorhanden, aber durch eine sorgfältige Fahrwerkabstimmung deutlich gemindert. Vom Typ 170 V unterscheidet sich der Typ 170 H nicht nur durch seine avantgardistischer wirkende Karosserie, er bietet auch bessere Fahrleistungen und aufgrund des hinten liegenden Motors ein geringeres Motorgeräusch.
Das Design polarisiert
Der Typ 170 H hat gegenüber dem Typ 130 eine deutlich gefälligere Karosserieform, diesmal jedoch mit einem aufgelegten Mercedes-Stern, und zwar ohne Umrandung. Als das Fahrzeug auf der IAMA der Öffentlichkeit vorgestellt wird, ist das Aussehen nach wie vor ein Diskussionsthema. So schreibt „Motor und Sport“ in seiner Messeberichterstattung: „Hat sich nun das Publikum an die Form des Heckmotorwagens gewöhnt oder nicht? Wir jedenfalls finden an ihr nichts auszusetzen. Es ist ein moderner Wagen, auf den man stolz sein kann und durch dessen Besitz man der Welt kund tut ein moderner Mensch zu sein. Der neue Heckmotor(wagen) mit dem neuen vierzylindrigen 1,7 Liter Motor hat uns ausnehmend gut gefallen.“
Die offene Variante des Heckmotorwagens: Mercedes-Benz 170 H Cabrio-Limousine (Baureihe W 28, Bauzeit: 1936 bis 1939).
Foto: Daimler AG
Diesem Eindruck kann man auch heute noch zustimmen. Der Typ 170 H gefällt, übrigens weit mehr als der Typ 130, durch ein rundes in sich harmonisch abgeschlossenes Design, das auch nach Jahrzehnten durchaus noch betrachtenswert und überzeugend ist. Stellt man die Typen 170 V und 170 H nebeneinander, dann wirkt der Frontmotorwagen in heutiger Betrachtung plötzlich wesentlich antiquierter als der immer noch erstaunlich frisch erscheinende Heckmotorwagen. Hier ist dem Karosseriekonstrukteur Walter Häcker ein großer Wurf gelungen, der ohne weiteres neben jedem Nachkriegsfahrzeug mit Heckmotor glänzend bestehen kann. Sehr überzeugend sind auch die verbindenden Stilelemente im Bereich der Fenster, der B-Säule und der Längssicken, die eine Verbindung zu den anderen Limousinenkarosserien schaffen und den Typ 170 H als Mitglied der großen Mercedes-Benz-Familie erkennen lassen.
Obwohl außen kompakter, bietet der Typ 170 H im Innenraum mehr Platz als der Typ 170 V. Die Sicht nach vorn lässt durch den Wegfall der Motorhaube durchaus Anklänge an heutige Fahrzeuge zu. Die Gepäckunterbringung ist gegenüber dem Typ 130 verbessert, aber immer noch kompromissbeladen, denn man muss die Koffer über die Rückenlehne der Fondsitzbank heben, um sie im Kofferraum zu deponieren. Aber das ist beim Frontmotor-Paralleltyp 170 V genauso – der von außen zugängliche Kofferraum wird in dieser Fahrzeugkategorie erst nach dem Zweiten Weltkrieg kommen.
Überzeugender Federungs- und Geräuschkomfort
Überzeugen kann der Typ 170 H selbst heutige Fahrer und Mitfahrer immer noch mit seinem beachtlichen Federungs- und Geräuschkomfort sowie einer serienmäßigen Warmluftheizung. Zu dieser bemerkt der Test der „Allgemeinen Automobil-Zeitung“ (AAZ): „Zur Geräumigkeit kommt als wirklich sehr erfreuliche Seite die verstellbare Wagenheizung hinzu. Leider gibt es nur wenige und dann zumeist ausländische Wagen, die neben dem 170 H diese erfreuliche Einrichtung aufweisen.“
Diese Heizung ist ein Nebenprodukt der vom Typ 150 übernommenen Pressluftkühlung. Hier drückt ein vom Motor angetriebenes „Turbogebläse“ Luft durch einen kleinen Wasserkühler. Ein Teil der angesaugten Luft wird sowohl über den gekapselten Auspuffkrümmer als auch über den Schalldämpfer geleitet. Die erhitzte Luft wird dann in den Innenraum geführt. Die Heizung ist regulierbar und kann abgestellt werden.
Mercedes-Benz 170 H (Baureihe W 28, 1936 bis 1939).
Foto: Daimler AG
Schneller als der vielgeliebte Bruder mit dem Frontmotor ist der Typ 170 H auch. Die Fachpresse ist von ihm durchaus begeistert. „Motor und Sport“ berichtet von der IAMA fast euphorisch: „Obgleich der Wagen weit geräumiger als der 1,3 Liter Heckmotorwagen ist, hat er einen um nur 10 cm längeren Radstand und wiegt nur 30 kg mehr. Der Motor leistet 38 PS und somit erhalten wir jetzt ein Leistungsgewicht von 27,6 kg/PS, womit endlich Mercedes-Benz zu seiner unübertrefflichen Strassenlage nun auch noch eine Portion „Spruhtz“ bekommt, die viele sehr begrüßen werden.“
In dasselbe Horn stößt ein Jahr später der Kollege der „AAZ“ mit der Bemerkung: „Die Fahreigenschaften des 170 H werden unterstützt durch eine sehr ansehnliche Höchstgeschwindigkeit und ein durchaus befriedigendes Beschleunigungsvermögen. Die Höchstgeschwindigkeit über einen fliegenden Kilometer beläuft sich im Mittel von 4 Stoppungen auf 111,4 km/h, während der Kilometer mit stehendem Start mit 70,6 km/h zurückgelegt wurde.“
Noch schneller geht es mit einer Sonderausführung des Typ 170 H, auf dessen Chassis Karl Schlör bei der Aerodynamischen Versuchsanstalt Göttingen (AVA) im Auftrag des Reichsverkehrsministeriums eine stromlinienförmige Karosserie entwickelt. Sie wird beim Karosseriebauunternehmen Gebr. Ludewig in Essen als Einzelanfertigung gebaut. Dieses Versuchsfahrzeug erzielt auf der Autobahn Frankfurt – Darmstadt eine Höchstgeschwindigkeit von 146 km/h. Gemessen wird dieser Wert als Mittelwert von drei Stoppungen. Auf der IAMA 1939 steht dieser Wagen, der als Besonderheit den Fahrersitz in der Mitte hat, Interessenten aus der Industrie zu Probefahrten zur Verfügung.
Auch der Typ 170 H bekommt eine Modellpflege: Von 1938 an sind doppelt wirkende Stoßdämpfer montiert, und die Armaturentafel enthält jetzt zusätzlich je ein Rundinstrument für die Wasser- und Öltemperatur.
Doch der Typ 170 H kann sich gegenüber dem Typ 170 V nicht durchsetzen. Dafür gibt es mehrere Gründe. So gibt es den Typ 170 V beispielsweise in deutlich mehr Karosserievarianten, der Kunde hat somit eine größere Auswahl. Ein weiterer Umstand, der den Erfolg des Typ 170 H nicht fördert, ist der um 600 RM höhere Preis gegenüber dem Typ 170 V (4350 zu 3750 RM). Und das, obwohl der Typ 170 H sogar 50 Kilogramm leichter ist als der Typ 170 V. Zwischen 1935 und 1939 werden vom Typ 170 H gerade mal 1507 Fahrzeuge gebaut, vom Frontmotortyp 170 V laufen 67 579 Fahrzeuge vom Band, einschließlich der Kübelwagen für den militärischen Einsatz.
Heckmotor-Anordnung: Fahrgestell des Mercedes-Benz 170 H (Baureihe W 28, Bauzeit: 1936 bis 1939).
Foto: Daimler AG
Während des Zweiten Weltkriegs ist der Typ 170 H ein begehrtes Fahrzeug, so man sich eines leisten kann und Treibstoffzuteilungen erhält, weil er nicht von der Wehrmacht beschlagnahmt wird. Denn Wagen mit Heckmotor hält die Armee für ihre Zwecke für ungeeignet – das freilich noch, bevor der Kübelwagen auf Volkswagen-Basis seine Kriegskarriere in Afrika und Russland startet. Doch dieser Umstand sorgt auch dafür, dass vom Typ 170 H zunächst eine vergleichsweise große Zahl den Zweiten Weltkrieg überlebt hat und er eins der wenigen Fahrzeuge ist, die für den Zivilverkehr zur Verfügung stehen. Genützt hat es ihm nichts, denn als modernere Konzepte sich endgültig durchsetzen, landen zahlreiche Heckmotorwagen in der Schrottpresse – nur wenige dieser besonderen Fahrzeuge von Mercedes-Benz haben überlebt.
Mercedes-Benz 170 H (Baureihe W 28)
Zylinder: 4 (Reihe)
Hubraum: 1697 cm³
Leistung: 28 kW bei 3400/min
Höchstgeschwindigkeit: 110 km/h
Produktionszeitraum: 1936 bis 1939