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Die Initiative Kulturgut Mobilität e.V. ist eine unabhängige, nichtkommerzielle Interessensvertretung der Oldtimerszene. Sie setzt sich für den Erhalt des historischen mobilen Erbes und der Möglichkeit zur Teilnahme von Oldtimern am Straßenverkehr ohne staatliche Restriktionen ein.

... denn mobiles Kulturgut braucht eine Zukunft!

Orient Express von 1896 wieder unterwegs

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Ein Gaggenauer war am 01.11.09 der Star der legendären Oldtimer-Ausfahrt von London nach Brighton: Ein „Orient Express“, der 1896 in Bergmanns Industriewerken gebaut worden war. Erst zehn Tage vor dem Start war es fahrbereit und so war er noch nachgemeldet worden. Der Gaggenauer Michael Wessel wollte sich dieses besondere Ereignis nicht entgehen lassen und besuchte mit seiner Tochter Tina die einzigartige Ausfahrt mit 600 Oldtimern, die alle vor 1905 gebaut sein mussten. Jedes Fahrzeug ist somit ein Museumsstück.

Im Londoner Hyde Park herrschte am Sonntagmorgen ab 6 Uhr – noch bei Dunkelheit - eine gespenstische Atmosphäre, überall wurden Oldtimer abgeladen und zum Laufen gebracht oder sie tuckerten auf eigener Achse an. Wären da nicht auch die neuen Transportfahrzeuge, hätte man sich um 100 Jahre zurück versetzt gefühlt.

Der „Orient Express“ startete in der ersten Gruppe mit den ältesten Fahrzeugen. „Mir schoss das Blut in den Kopf, als ich das Fahrzeug sah“, erinnert sich Michael Wessel. Und es gelang ihm, das Wachpersonal zu überzeugen, dass er kurz zu dem Fahrzeug musste.

Der Besitzer, Ron Mellowship, ein Australier, der jetzt in Kent wohnt, freute sich herzlich über den unerwarteten Besuch aus Gaggenau, hatte er doch bereits Veröffentlichungen von Michael Wessel über den „Orient Express“ gelesen. Ein kurzes Probesitzen und dann hieß es „Fertig machen zum Start!“ Auch dabei wurde – wie im Katalog zur Ausfahrt – über Lautsprecher auf die Besonderheit hingewiesen, dass der 103 Jahre alte „Orient Express“ überraschend erstmals am Start ist. Zu hören war auch, dass es unterwegs und insbesondere in Brighton „Hunde und Katzen“ regnet. Später stellte sich heraus, dass auch extremer Wind und Hagel hinzukamen.

Die bange Frage war daher, ob der Orient Express die 80 Meilen bis zum Ziel am Strand von Brighton schaffen würde. Er schaffte es!

Das Wetter klarte am Nachmittag auf und so konnte Ron Mellowship mit seinem Sohn Alexander und dessen Freund Karl total durchnässt aber winkend und voller Stolz die Ziellinie überqueren. Unterwegs hatten die beiden Jugendlichen bei Steigungen immer mal wieder abspringen und schieben müssen.

„Ich werde mit meinem Orient Express kommen!“ erklärte Ron Mellowship spontan, als ihm Michael Wessel vorschlug, im Jahr 2011 sein Gefährt an den Geburtsort zurück zu führen. Schließlich feiert man in zwei Jahren nicht nur in Gaggenau „125 Jahre Automobilbau“.

Zur Historie:

Im Jahr 1996 hatte der Engländer Peter Moffat in Nord Wales den „Orient Express2 – „zerlegt in tausend Teile“ – in der Scheune einer Mühle entdeckt und nach zähen Verhandlungen kaufen können. In seiner großen Garage versucht es Peter Moffat dann, die Teile zusammen zu puzzeln. Unterlagen besaß er dafür nicht. Und noch bevor er vor ein paar Jahren starb, übergab er das Projekt seinem Freund Ron Mellowship.

Auch Ron musste sich ohne technische Literatur durchkämpfen aber nach mehrjährigem Studium der Teile jagte ein Erfolgserlebnis das andere. Das Fahrzeug wuchs. Das Besondere daran war, dass sich herausstellte, dass mehr als 90 Prozent der mechanischen Teile noch original vorhanden waren. Und als Schreiner war es für ihn nicht schwer, marode Holzteile nachzufertigen. Erst in diesem Jahr gelang es aber, den Motor wieder instand zu setzen. Zehn Tage vor dem Start lief er das erste Mal. So blieb auch nur Zeit für eine Probefahrt von zwei Meilen.

Der „Orient Express“ von 1896 in Kutschenform hat die Fahrgestell-Nummer 104 und ist mit einem Einzylinder-Motor ausgerüstet, der sechs PS hat. Die Gänge werden durch ein Riemengetriebe gewechselt. Dieses besondere Getriebe hatte sich der Konstrukteur des Fahrzeugs, der Baden-Badener Joseph Vollmer, patentieren lassen. Es war das erste seiner mehr als 400 Patente die noch folgen sollten.

Einen kleinen Eindruck vom Beginn der Ausfahrt vermittelt der nachfolgende Film auf Youtube. Nach 39 Sekunden kommt der Gaggenauer „Orient Express“ ins Bild.

Autor: Michael Wessel

Buchtipp: Joseph Vollmer - Konstrukteur und Pionier