Interview Thomas Koch: „Niemand hat uns bislang widerlegt“
Es wäre ein Irrtum, der die Mobilitätsstrategie der EU im Rahmen des „Green Deal“ auf den Kopf stellen würde: 171 Wissenschaftler haben in einem offenen Brief an die EU auf Rechenfehler bei der CO2-Bilanzierung von Elektromobilität hingewiesen. Worum es geht, erläutert einer der Verfasser, Professor Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), im Gespräch mit Jens Meiners von der Autoren-Union Mobilität.
Professor Koch, wo liegt der Denk- und Rechenfehler, den Sie kritisieren?
„Die gängigen Berechnungen lassen die CO2-Belastung durch zusätzliche elektrische Verbraucher, Wärmepumpen, Rechenzentren und natürlich auch Elektroautos weitaus niedriger aussehen als sie in Wirklichkeit ist. Denn sie legen grundsätzlich den aktuellen Strommix zugrunde und vernachlässigen dabei, dass der durch elektrische Verbraucher bedingte Zusatzbedarf zu einem weitaus höheren CO2-Ausstoß führt. In der Ökonomie spricht man von Grenzkosten. Dies bedeutet, dass sich mit jedem Verbraucher typischerweise auch der Mittelwert des Strommix ändert, was ebenfalls berücksichtigt werden muss. Mit der vorhandenen elektrischen Energiebereitstellung von Photovoltaik und Windkraft, die wir natürlich nach Kräften ausbauen sollten, schaffen wir es nicht ansatzweise in den nächsten Jahren, die vorhandenen elektrischen Verbraucher im JahresmIttel und in Summe zu bedienen.“
Warum liegen die wahren CO2-Emissionen so viel höher?
„Betrachten wir die Gesamtprimärenergie, dann stellen wir fest, dass im Jahr 2019 in Deutschland lediglich fünf Prozent davon aus Wind- und Sonnenenergie kamen. Der Rest kommt aus Rohöl, Gas, Kohle, Uran usw. Eine andere Betrachtung zeigt, dass wir im Teilsektor der elektrischen Energie im Jahr 2030 immerhin 70 Prozent durch die ,Regenerativen‘ abdecken könnten. Wenn wir aber den Bedarf durch die Elektrifizierung von Autos nach oben schrauben, können wir das für lange Zeit überwiegend nur durch Kohle- oder Gaskraftwerke abdecken, und zwar mit entsprechenden CO2-Emissionen. Selbst im Jahr 2035 werden wir bei intensivem Ausbau der regenerativen Energien noch 5500 bis 6000 Stunden im Jahr eine fossile Energieunterstützung im Stromnetz benötigen. Die Energieökonomin Claudia Kemfert spricht von einer großen ,Ökostromlücke‘. Und die lässt sich auf absehbare Zeit nur durch fossile Energien schließen. Dies haben wir mathematisch hergeleitet und die resultierenden Mehr-CO2 Emissionen analysiert.“
Gibt es denn überhaupt noch ein Szenario, in dem Elektroautos den CO2-Ausstoß senken?
„Es hängt sehr vom Anwendungsfall ab und es gibt hervorragende BEV-Anwendungen, insbesondere für den urbanen Bereich. Aber generell ist keine Technologie der CO2-Platzhirsch. Wir haben Beispielrechnungen aufgestellt, in denen ein VW ID 3 mit einem konventionellen Dieselfahrzeug verglichen wird. Dabei werden für den bloßen Betrieb beim ID 3 gemäß der vereinfacht und zu niedrig gerechneten Emissionsbilanz nach 16 Jahren und 224.000 Kilometern 14 Tonnen CO2 emittiert. Mit dem von uns berechneten erweiterten Faktor ist es so, dass 30 Tonnen CO2 real resultieren. Diesen Emissionen stehen 34 Tonnen CO2 bei einem Diesel gegenüber – allerdings mit zu 100 Prozent fossilem Kraftstoff. Und wir haben beim E-Auto noch nicht die Batterieherstellung, die Schnellladeverluste, den nötigen Ausbau der Infrastruktur oder den Winterbetrieb berücksichtigt. Unsere Botschaft ist deshalb, dass die Technologien auf Augenhöhe operieren und wir einen intelligenten Technologiemix benötigen. Eine eindimensionale Verbotsstrategie ist falsch.“
Aber sind die Verbrennungsmotoren nicht längst ausgereizt?
„Der Diesel hat durch Hybridisierung und weitere Maßnahmen noch viel Potential beim Verbrauch, und man kann ihn mit teilsynthetischem R33-Kraftstoff betreiben, wobei für die großflächige Umsetzung eine politische Bereitschaft vorliegen muss. Die gleiche Aussage ist generell auch für den Benzinmotor gültig. Dann blieben in der gerade erwähnten Betrachtung noch 17 Tonnen CO2 übrig. Damit ist der moderne Hybridantrieb eine sehr wichtige Säule im Bestreben nach einer signifikanten CO2-Reduzierung. Ein mittel- bis langfristiger Ausbau dieser Technologie kann zu einer wichtigen CO2-Reduzierung um über 90 Prozent im Jahr 2050 beitragen. Generell ermöglichen sowohl Hybrid- als auch Elektro-Fahrzeuge clevere weitere CO2 Einsparpotentiale, die wir parallel angehen müssen.“
Warum will die Autoindustrie dann keine Verbrenner mehr entwickeln?
„Weltweit stellt sich diese Frage sicherlich nicht. Und eine ausschließliche Fixierung auf Batteriemobilität verstößt in vielen Ländern gegen die Empfehlungen des Weltklimarats IPCC nach einer schnellen und größtmöglichen CO2 Reduzierung. Die Autoindustrie hat natürlich ein Problem: Sie hat Milliarden investiert und niemand kann mit Sicherheit sagen, wie der Markt die neuen Antriebstechnologie-Optionen in den nächsten Jahren aufnehmen wird. Um die Nachfrage zu stabilisieren, soll offenbar eine psychologische Zwangsläufigkeit suggeriert werden. In einem Punkt kann ich Sie übrigens beruhigen: Gute Motorengenerationen können über Jahrzehnte vom Band laufen. Realistischerweise werden wir BEV- und Hybrid-Technologien weiterentwickeln müssen.“
Sie werden wegen Ihres Hinweises auf eine korrekte CO2-Berechnung gerade hart angegangen.
„Seriöse Wissenschaftler haben schon vor fünf Jahren darauf hingewiesen, dass moderne Diesel in Sachen NOx hervorragende Ergebnisse erzielen. Es folgte teilweise heftiger Widerspruch. Wir haben darauf hingewiesen, dass diese Technologie einen vernachlässigbaren Beitrag zur Feinstaubsituation leistet – gegen teilweise heftigen Widerspruch. Wir haben in der Debatte um Nachrüstlösungen von SCR-Systemen für alte Diesel warnend den Zeigefinger erhoben, bei heftigem Widerspruch. Die Behauptung der angeblich hunderttausenden Toten durch Stickstoffdioxid haben wir mathematisch analysiert und korrekte Berechnungen angemahnt, wiederum mit heftigem Widerspruch. Und als wir die generelle Bedeutung von Thermofenstern bei früheren Technologielösungen betont haben, gab es ebenfalls intensive Reaktionen. Die Aufregung war also immer groß, wir haben die Themen aber sachlich analysiert und das Ergebnis kommuniziert, auch wenn es Gegenwind gab. Im Nachhinein haben sich die Analysen als korrekt herausgestellt. Und auch jetzt hat noch niemand unseren mathematischen Beweis widerlegt und in der Kernsache widersprochen. Uns geht es darum, ganzheitlich eine optimale Lösung für die Zukunft zu entwickeln und als Gesellschaft keine Irrwege zu beschreiten. Und ich kann Ihnen berichten, dass der Zuspruch von sehr vielen Forschern überwältigend ist.“ (ampnet/jm)