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Die Retro-Classics - so war's

Vom 26.-29.03.2015 fand in Stuttgart die Retro Classics statt. Größer sollte sie werden und mehr Aussteller angelockt haben - hieß es im Vorfeld. Man wolle Europas größte Oldtimermesse werden! Ein unverhohlene Kampfansage an die Techno Classica in Essen.

Es stimmt, die Fläche wurde um die Messepiazza erweitert. Ob man diese nun der Ausstellungsfläche zuschlagen kann oder nicht, entscheiden nicht die Journalisten in ihren Berichten, sondern einzig und allein der Veranstalter, die Retro Messen GmbH und sie haben entschieden: Ja, die Messepiazzia, einst kostenloser Oldtimerparkplatz, wird jetzt Oldtimerverkaufsfläche und gehört somit zur Ausstellungsfläche. Man mag nun darüber streiten, wie sinnig oder unsinnig das sein mag, Tatsache jedoch nach vielen Gesprächen mit Besuchern ist, daß die Ausweisung der Oldtimerfahrer von der Piazza ins benachbarte Bosch-Parkhaus, euphemistisch ausgedrückt, in der Szene suboptimal angekommen ist. Konnte man noch bis vergangenes Jahr kostenfrei auf der Messepiazza parken, sofern man mit einem Oldtimer anreiste, standen den Oldtimerfahrern während der Messe 500 im Bosch-Parkhaus reservierte Plätze zu einem Tagessatz von sechs Euro zur Verfügung. Jetzt ließe sich mit der Irrelevanz dieses Betrages argumentieren, doch die Botschaft wurde überwiegend dergestalt interpretiert: Ihr wart uns so lange gute Kunden, solange die Messe nach den Sternen griff. Jetzt, wo sie etabliert ist, regiert der Kommerz und das gemeine (Oldtimer-)Volk hat sich hinten anzustellen. Ausgerechnet diejenigen, die dafür gesorgt haben, daß die Messe heute da steht, wo sie ist. Um den Kreis zu schließen: Auf der Messepiazza konnten private Anbieter gegen einen Obolus ihre Fahrzeuge feilbieten.


Autonova GT auf NSU-Basis

Doch nicht nur der Besucher grummelt, auch die Clubs haben geballte Fäuste in den Hosentaschen. Ob Standmiete, die Anzahl der Ausstellerausweise, die Rahmenbedingungen beim Aufbau und Betreiben des Standes gaben im Dialog mit der Basis der Oldtimerszene latente Unzufriedenheit kund.


DKW 500 Sport Baujahr 1929

Es wäre jedoch der Retro Classics Unrecht getan, würde man sie lediglich auf die o.g. Kritikpunkte reduzieren. Sie hat, allen Unkenrufen zum Trotz, gut 1500 Aussteller angezogen und über 87000 Besucher angesprochen, was in beiden Fällen erneut eine Steigerung zum Vorjahr darstellt. Mit der Messepiazza als Ausstellungsfläche, sofern man die private Fahrzeugverkaufsbörse als Ausstellung definiert, standen heuer 120000qm zur Verfügung - Rekord! Eine weitere Ausstellungshalle mit 15000qm, das wäre dann Nummer 10, befindet sich im Bau. Größer, weiter, schneller! Wann stößt Wachstum an ihre Grenzen?


Goggomobil 350 Furgoneta Baujahr 1965 aus spanischer Fertigung

In der Halle 1 war das jedenfalls nicht zu beobachten. Diese verkörpert die zügellose Kommerzialisierung der "Oldtimerei" wie kaum eine zweite. Einer Neuwagenhalle gleich stehen neu aufgebaute Klassiker teils in Reih' und Glied und warten mit überzogenen Preisen auf solvente Kundschaft. Ein Novum auf der Messe: Animierdamen in leichtem Gewand sollten (zumindest auf einem Stand gut zu beobachten) die Kaufentscheidung erleichtern.


Kulmus GMW 3-1, Fahrgestell auf Opel-Basis Baujahr 1926, Traktorumbau 1954

Sehenswert waren die Clubpräsentationen, die eigentliche Seele einer jeden Oldtimermesse. Sie haben sich wieder ins Zeug gelegt und ihre Stände mit großer Akribie und Herzblut gestaltet. Exemplarisch seien die Alt-Opel-Freunde, der Glasclub und die IG T2 genannt. Letztere hatte das Thema "Make love not war" eindringlich und nachdenkenswert gestaltet.


Mercedes-Benz 540K Stromlinienwagen Baujahr 1938, Rekonstruktion 2013

Die beiden großen schwäbischen Autobauer Porsche und Daimler zeigten sehenswerte Pretiosen ihrer Sammlung. Porsche hat sich mit der Sonderausstellung "Projekt geheim" den Prototypen verschrieben und Mercedes-Benz präsentierte den wiederauferstandenen 540K Stromlinienwagen.


Mercedes-Benz OP3750 Baujahr 1939, Auwärter-Aufbau 1949

Die Halle der Nutzfahrzeuge war einmal mehr Schmelztiegel unterschiedlicher Gattungen: Traktoren, Lastkraftwagen und Kraftomnibusse fanden dort ihre temporäre Heimat. Diese Halle war zu jeder Zeit sehr gut besucht. Kein Wunder, bildet doch die Fraktion der Traktorenfreunde die größte innerhalb der Oldtimerszene.


Scania-Vabis BF110-63 Baujahr 1968

Last but noch least kamen auch Freunde der US-Cars auf ihre Kosten. Auch ihnen wurde eine komplette Halle gewidmet, die so manchem Rockabilly-, Carl-Malden- oder Bullit-Fan die Freudentränen in die Augen trieb. Schade, die Hot-Rod-Gemeinde, legitimer Teil der US-Fahrzeughistorie, zog es offenbar nicht nach Stuttgart.


Opel Kadett Baujahr 1936 aus Wehrmachtsbestand

Absoluter Höhepunkt der Messe war jedoch kein (Alt-)Blech, sondern eine Person, die sich Zeit ihres Lebens dem Blech in Verbindung mit Zelluloid verschrieben hat: Marianne Fürstin zu Sayn-Wittgenstein. Diese nunmehr 95-jährige Grand Dame strahlte bei der Autogrammstunde, in welcher sie ihr sehens- wie lesenswertes Buch "Stars & Sportscars" signierte, eine Anmutung, einen Charme und eine Klasse aus, die sofort betörte.


Marianne Fürstin von Sayn-Wittgenstein (Mitte), Jochen Mass (re.)

So ging am Sonntagabend eine Messe zu Ende, die viele Eindrücke bot und genug Gelegenheiten um über die Zukunft der Oldtimerszene nachzudenken.

Text/Bilder Mario De Rosa