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Schlafende Automobilschönheiten - Ein Erlebnisbericht

Was seit dem 01.05.2013 in Kassel auf Besucher wartet ist nichts weniger als eine der spektakulärsten Ausstellungen, die die Oldtimerwelt je gesehen hat.

Fernab jeglichen Glanzes und Glamours haben Heinz W. Jordan, Dr. Dietrich Krahn und Richard Keller eine Schau morbiden Charmes auf die Beine gestellt, die es in sich hat. Im wahrsten Wortsinne! In sich tragen Blechpartien und Gestühl offen ihre Narben und Wunden zur Schau, die sich einem Krebsgeschwür gleich durch alle Arten von Material gefressen haben. Wir sehen natürlichen Zerfall durch Benutzung, durch Vernachlässigung und durch jahrelanges Wegstellen.

Kritische Geister mögen die Ausstellung eine Ansammlung von Schrott, einem Autofriedhof gleich, nennen. Doch ist das nicht zu kurz gedacht? Wie lautet die Intention hinter diesem Unterfangen, das beträchtliche Summen verschlungen haben muß? Die Initiatoren möchten nicht nur zeigen, was die Zeit anzurichten vermag, sondern auch eine Diskussion über die Betrachtung der Exponate anregen. Reden wir über Kunst, Restaurierungsobjekte oder einfach nur Schrott? Diese Frage zu beantworten fällt beim Durchschreiten der Ausstellung schwer.


Charron X 12HP Baujahr 1910

Das beginnt bereits damit, daß einige Fahrzeuge vom Zustand eines desolaten Restaurierungsobjektes entweder weit entfernt sind, wie der Charron X12, oder bereits in früheren Zeiten Restaurierungsarbeiten unterzogen wurden, wie der Alfa Romeo 6C 1750 GS beweisen.


Alfa Romeo 6C 1750 GS

Darüberhinaus warten auf die Besucher auch bereits begonnene Restaurierungsobjekte. Der Mercedes-Benz 770K zeugt davon. Das Fahrgestell wurde vollendet. Ein weiteres Exponat, ein DeDion-Bouton, wurde gar lediglich konserviert. Auch dies ist eine Option, die in Kassel Berücksichtigung findet und die auch für andere Objekte der Ausstellung das Mittel der Wahl sein könnte, um ihre originale Substanz zu erhalten, wo es sinnvoll ist.


Mercedes-Benz 770K Fahrgestell Baujahr 1939. Die Karosserie steht, im Bild nicht sichtbar, daneben.


DeDion-Bouton Typ IE Baujahr 1929. Konserviert, statt restauriert

So richtig unrettbar scheint ohnehin keines der Ausstellungsstücke zu sein, wenngleich man zugeben muß, daß es im Falle des Georges Roy oder des Panhard & Levassor X19 einige Arbeit und Mühe und noch mehr Finanzmittel kosten würde, um diese wieder in einstigem Glanze erstehen zu lassen.

Doch Hand aufs Herz - so verlebt, so kaputt, so gebrochen wie sie dastehen, sind sie eine Seltenheit und genau diese Seltenheit übt einen unglaublichen Reiz aus. Würde man an diese Automobile heilende Hände anlegen, man würde unweigerlich alle Spuren eines langen und beschwerlichen Lebens tilgen. Man entzöge der Oldtimerszene echte Originale. Hier offenbart sich ein wahres Dilemma: Sowohl zum Wegwerfen, als auch zum Restaurieren sind sie zu schade.


Georges Roy Baujahr 1912

Eines der interessantesten Autos ist übrigens ein Bugatti Typ 46, der wohl während des Zweiten Weltkrieges zum Krankenwagen umgebaut wurde. Davor liegt eine Trage, als warte der stolze Molsheimer auf einen verwundeten Soldaten, um ihn mit entfesselten 160PS, geschöpft aus 5396ccm, ins nächste Militärkrankenhaus zu fahren.



Bugatti Typ 46 Baujahr 1932, zum Ambulanzwagen umgebaut

Wäre nicht der Krieg in vollem Gange, hätte die kostbare Fracht auch aus dem Fahrer einer der beiden Rennwagen bestehen können, die vor dem unheilvollen 01.09.1939 ihr letztes Duell, so scheint es, ausgefochten haben. Zerbeult, lädiert, teils mit bloßliegenden Eingeweiden stehen sie da. Die Motoren sind verstummt, die Kompressoren haben ausgeheult und die begeisterten Zeugen des automobilen Wettstreites sind längst abgezogen.


Mercedes-Benz W154 Baujahr 1939, von den Schlumpf-Brüdern direkt vom Werk erworben und Maserati 4CM Baujahr 1936.

Bis auf die Motorräder, die Leihgaben aus Einbeck sind, stammen alle Automobile ausschließlich aus der Schlumpf’schen Sammlung, die im Musée National in Mulhouse beheimatet ist. Nach dem Zusammenbruch der Kammgarnspinnerei der Gebrüder Schlumpf ging die komplette Sammlung in französischen Staatsbesitz über. Das verhindert, daß die Fahrzeuge verkauft und in alle Winde verstreut werden dürfen. Der Sammelleidenschaft von Hans und Fritz Schlumpf ist es zu verdanken, daß wir heute auf die größte und bedeutendste Bugatti-Sammlung der Welt blicken können. Rund 400 Fahrzeuge haben die beiden Brüder zusammengetragen, bis sie durch ihre Sammelwut ihre Firma in den Abgrund rissen. 250 davon sind im französischen Nationalmuseum zu besichtigen. Die restlichen 150 fristen ein Schattendasein in verschiedenen Gebäuden innerhalb des Museumsgeländes und kommen nicht ans Tageslicht.

Umso größer wiegt daher die Bedeutung der Kasseler Ausstellung, die noch bis 31.07. dauert, 8 EUR (6 EUR ermäßigt) Eintritt kostet und in der Lilienthalstraße 25, Halle 19 in 34123 Kassel zu bestaunen ist. Die Zufahrt ist nur über das Tor 1 des Unternehmensparks Kassel (UPK) möglich. Weitere Informationen lassen sich unter www.schlafende-automobilschoenheiten.de abrufen. Weitere Fotos dieser außergewöhnlichen Ausstellung finden Sie hier.

Text und Bilder: Mario De Rosa