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Nachlass der Marken-Namensgeberin Mercedes Jellinek im Archiv der Daimler AG

  • Neues Licht auf das Leben von Mercedes Jellinek
  • Erstmalig: Ein Foto von ihr in einem Mercedes

Mercedes Jellinek sitzt in einem Mercedes: Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag – dieses nun aufgetauchte Foto ist eine kleine Sensation. Denn bislang war keine Fotografie bekannt, welche die Namensgeberin der weltberühmten Automarke in einem Automobil zeigt, das nach ihr benannt wurde. Das neue Originalmaterial über Mercedes Jellinek im Archiv der Daimler AG stammt aus dem Nachlass ihres Sohnes, Hans-Peter Schlosser, der, weil selbst kinderlos, seinem in Salzburg lebenden Patenkind persönliche Fotos und Dokumente seiner Mutter vermachte. Dazu gehören drei Fotoalben mit insgesamt knapp 300 Fotografien, die Szenen aus dem – bislang wenig bekannten – Leben der Mercedes Jellinek zeigen. Kinderbilder der am 16. September 1889 in Wien geborenen Mercedes Jellinek gehören genauso zu den neu erworbenen Schätzen des Archivs, wie Bilder aus ihrer Zeit als junge Erwachsene in Nizza – etwa auf einer Yacht namens Mercedes, hoch zu Ross oder lesend in einem Salon. Darüber hinaus finden sich Hochzeitsfotos aus ihrer ersten Ehe mit dem Wiener Baron Karl Schlosser aus dem Jahr 1909 sowie Familienszenen mit ihren beiden Kindern Elfriede (geboren am 20. Juni 1912) und Hans-Peter (geboren am 3. Mai 1916). Nicht alle Fotos sind beschriftet oder mit Jahreszahlen versehen. Trotzdem gewähren sie einen Einblick in das Privatleben der Namenspatin der Marke Mercedes – und in das Leben einer „höheren Tochter“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Zu den neuen Dokumenten über Mercedes Jellinek gehört die sehr gut erhaltene Geburtsurkunde von „Mercedes Adrienne Ramona Manuela Jellinek“, aus der auch die am 24. Juni 1903 bewilligte Änderung des Familiennamens in „Jellinek-Mercedes“ ersichtlich ist – und die nebenbei klarstellt, dass Mercedes ihr bereits in der Geburtsurkunde eingetragener Name ist. Bisweilen hieß es, dass Mercedes „nur“ der Kosename ihres Vaters Emil Jellinek für sie war.


Mercedes Jellinek (1889 bis 1929), rechts, auf hoher See, ca. 1910. Aus dem im Jahr 2012 veröffentlichten Konvolut der Mercedes-Benz Classic Archive.
Foto: Daimler AG

Mercedes Jellineks Heiratsurkunde mit Karl Freiherr von Schlosser bewahrt das Archiv nun ebenso auf wie ihre Todesanzeige; die Namenspatin der Marke Mercedes starb, in zweiter Ehe mit Baron Rudolf Weigl verheiratet, als „Mercedes Freifrau von Weigl, geb. Jellinek-Mercedes“, mit nicht einmal 40 Jahren am 23. Februar 1929 in Wien.

Im neu erworbenen Nachlass befindet sich auch ein Reisepass aus dem Jahr 1927. Ihm ist zu entnehmen, dass die österreichische Staatsbürgerin kastanienbraunes Haar und grüne Augen hatte – Details, die auf Schwarz-Weiß-Fotos nicht zu erkennen und somit zumindest der Öffentlichkeit bislang unbekannt waren.

So enthält der Nachlass neben der kleinen Sensation des Fotos „Mercedes im Mercedes“ viele interessante Kleinigkeiten, welche die Geschichte der Namensgeberin der weltbekannten Marke vervollständigen helfen. Denn wäre ihr Vater Emil Jellinek nicht so in seine Tochter vernarrt gewesen wäre, gäbe es vermutlich die Marke Mercedes nicht – und die „zweite Geburt“ des Automobils hätte ganz anders ausgesehen.

Hintergrund: Mercedes wird zur Weltmarke mit ungeheurer Strahlkraft

Als Gottlieb Daimler und Carl Benz im Jahr 1886 unabhängig voneinander das Automobil erfinden, hält sich die Begeisterung für das völlig neuartige Gefährt in Deutschland zunächst in Grenzen. In Frankreich ist man dem Neuen gegenüber aufgeschlossener. Auch der Geschäftsmann Emil Jellinek, der in Baden bei Wien und Nizza lebt, ist vom Automobil fasziniert. Sein erster „großer Wagen“ ist ein Benz Viktoria.

Der Autonarr, damals Anfang 40, wird durch eine Zeitungsannonce auf die Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) aufmerksam, reist nach Cannstatt und erhält im Oktober 1897 seinen ersten Daimler-Wagen. Emil Jellinek hat allerdings hohe Ansprüche: Er will die feinste und beste Technik der damaligen Jahre.

In Stuttgart bekommt er sie; und so wirbt der Geschäftsmann von 1897 an für die Daimler-Automobile in den höchsten Kreisen der Gesellschaft an der Côte d’Azur. Die Barone Arthur und Henry de Rothschild und andere Persönlichkeiten der damaligen Zeit kaufen die Wagen aus Deutschland bei ihm. Bis zum Tod Gottlieb Daimlers im Jahr 1900 verkauft Emil Jellinek auf diese Weise immerhin 34 Autos, aus damaliger Sicht eine beträchtliche Anzahl.


Mercedes Jellinek (1889 bis 1929), Ausritt an der Villa der Familie Jellinek in Baden bei Wien, ca. 1905. Aus dem im Jahr 2012 veröffentlichten Konvolut der Mercedes-Benz Classic Archive.
Foto: Daimler AG

Doch auch persönlich verstehen sich der Stuttgarter Autoerfinder und der mondäne Autoverkäufer offenbar: Gottlieb Daimler lädt Jellinek und dessen Tochter Mercedes mehrmals in seine Villa in der Taubenheimstraße in Cannstatt ein. Bei diesen Gelegenheiten bringt Jellinek Herrn Daimler die Idee nahe, dass der Hersteller mit eigenen Autos und unter eigenem Namen Rennen und Zuverlässigkeitsfahrten bestreiten solle, und überzeugt schließlich ihn und den Konstrukteur Wilhelm Maybach, dass die Zukunft des Automobils durch Geschwindigkeit und Eleganz bestimmt werden wird. In der Geschwindigkeit sieht er allerdings nicht den Anreiz unvorsichtig zu sein, sondern den eigentlichen Sinn eines Motorfahrzeugs: „Wenn ich aus einem Automobil nicht mehr heraushole als aus einem Gespann, kann ich ebenso gut wieder mit Pferden fahren!“

Für die Rennwoche von Nizza im März 1899 meldet Emil Jellinek einen Daimler „Phoenix“-Wagen 28 PS unter dem Pseudonym Monsieur „Mercedes“ an – eine in der damaligen Zeit offenbar durchaus übliche Verschleierung, die nicht nur von Jellinek praktiziert wird: Baron Henry de Rothschild startet beispielsweise als Dr. Pascal. Daimler-Werksfahrer Wilhelm Bauer gewinnt auf Jellineks „Phoenix“-Wagen die Tourenfahrt Nizza–Magagnosc–Nizza.

„Wir sind in die Ära Mercedes eingetreten“

Ein Jahr später, Ende März 1900, kommt es in der Rennwoche von Nizza zu einer Katastrophe: Beim Bergrennen Nizza–La Turbie verunglückt Wilhelm Bauer tödlich mit einem „Phoenix“-Wagen 23 PS, der als „Mercedes II“ gemeldet ist. Allzu neugierige Zuschauer sind auf die Rennstrecke gelaufen und haben Bauer zu einem halsbrecherischen Ausweichmanöver gezwungen. Beifahrer Hermann Braun, der sich mit dem zweiten gemeldeten Wagen „Mercedes I“ bereits beim Rennen Nizza–Marseille überschlagen hatte, bleibt auch diesmal unverletzt. Die erste Reaktion aus Cannstatt ist, die überzogenen Motorleistungen für den Unfall verantwortlich zu machen und künftig allen Schnellfahrten fernzubleiben.

Emil Jellinek kann jedoch Wilhelm Maybach – Gottlieb Daimler war kurz zuvor Anfang März 1900 verstorben – überzeugen: „Weltberühmt machen Siege. Man kauft die siegreiche Marke und wird sie immer kaufen. Es wäre kommerzieller Selbstmord, den Rennen fernzubleiben“, argumentiert Jellinek.

Die DMG gibt dem Drängen Jellineks nach und beschließt im April 1900, einen leichten, aber sehr leistungsstarken Motor zu entwickeln, der auf den Vorschlag Jellineks hin den Namen „Daimler-Mercedes“ führen soll. Jellinek bestellt eine komplette Serie von 36 neuen Wagen mit diesem Motor und sorgt dafür, dass die Presse in Frankreich, Deutschland und Österreich über das neue Fahrzeug berichtet.


Mercedes Jellinek (1889 bis 1929) auf einem Mercedes Grand-Prix-Rennwagen aus dem Jahr 1906. Aus dem im Jahr 2012 veröffentlichten Konvolut der Mercedes-Benz Classic Archive.
Foto: Daimler AG

Das erste neue Fahrzeug, ein Mercedes 35 PS, wird am 22. Dezember 1900 an Jellinek geliefert. Dieser von Wilhelm Maybach entwickelte neue Typ sorgt zu Beginn des Jahrhunderts für Furore: Es ist das modernste Fahrzeug der Welt und gilt zugleich als erstes modernes Automobil. Mit dem Mercedes 35 PS erhält das Automobil erstmals eine eigenständige Form, die mit der bis dahin vorherrschenden Kutschenbauweise nichts mehr gemein hat.

Auf der Rennwoche in Nizza Ende März 1901 zeigen die Automobile mit Namen Mercedes, was in ihnen steckt: Mit vier ersten und fünf zweiten Plätzen sind die Daimler-Fahrzeuge eine Klasse für sich – und zwar gleichermaßen bei der Distanzfahrt, dem Bergrennen wie auch dem Meilenrennen. Der französische Hersteller Panhard & Levassor, der im Vorjahr noch alle ersten Plätze belegen konnte, zieht noch vor dem Rennen seine Fahrzeuge zurück. Und Paul Meyan, der Generalsekretär des Automobilclubs von Frankreich, prägt den denkwürdigen Satz: „Wir sind in die Ära Mercedes eingetreten.“ Bis dahin hatten sich die Franzosen eigentlich für die besseren Autobauer gehalten. Ende des Jahres 1901 kaufen unter anderem die amerikanischen Milliardäre Rockefeller, Astor, Morgan und Taylor die leistungsstarken 40-PS-Wagen der Marke Mercedes.

Die Mercedes-Benz Classic Archive

Zukunft braucht Herkunft, und Innovation baut auf Tradition auf: Für diese Werte steht Mercedes-Benz Classic mit den Archiven in ganz besonderer Weise. Die weithin bekannte Institution ist eines der größten Wirtschaftsarchive ganz Europas und wohl das kompletteste der Autoindustrie. Es ist das Gedächtnis der außergewöhnlichen Unternehmens-, Produkt- und Ideengeschichte seit der Erfindung des Automobils im Jahr 1886. Ihre Bestände zeugen ebenso von der Fähigkeit zum visionären und konstruktiven Entwickeln, wie sie eine vielfältige Wirtschafts- und Sozialgeschichte dokumentieren.

Offiziell beginnt die Geschichte der Archive vor 75 Jahren mit der Verwaltungs-Anordnung Nr. 1145 der damaligen Daimler-Benz Aktiengesellschaft. Darin teilt der Vorstand des Unternehmens am 9. Dezember 1936 mit, dass der Ingenieur Max Rauck „mit der Sammlung und Sichtung unseres historischen Schrift- und Bildmaterials zwecks Einrichtung und Führung eines historischen Archivs“ beauftragt worden ist. Intern hatte Rauck allerdings im Auftrag des Vorstands bereits nahezu zwei Jahre lang den Bestand an archivwürdigem Material sondiert.

Doch die Suche nach Zeugnissen der eigenen Geschichte ist und war keineswegs einfach. Aus der Zeit Gottlieb Daimlers sind noch einige wenige Dokumente erhalten, extrem dünn sieht hingegen der Bestand bei Benz & Cie aus. Eine Ausnahme stellen die Patente der Daimler-Benz AG und ihrer Vorgängerorganisationen dar: Die ältesten Patente von Daimler und Benz, quasi die Geburtsurkunden des Automobils, gehören heute zum Bestand des Archivs.

Das Unternehmensarchiv bewahrt personen- und unternehmenshistorische Dokumente und Artefakte auf; das Produktarchiv dokumentiert die Geschichte der Personenwagen und Nutzfahrzeuge seit der Erfindung des Automobils durch Carl Benz und Gottlieb Daimler.


Mercedes Jellinek (1889 bis 1929) und ihr Gatte Carl Schlosser, vermutlich auf der Hochzeitsreise, vor dem Dom San Marco in Venedig, 1909. Aus dem im Jahr 2012 veröffentlichten Konvolut der Mercedes-Benz Classic Archive.
Foto: Daimler AG

Das Medienarchiv umfasst rund 3 Millionen Fotografien von der Anfangszeit des Automobilbaus bis heute. Hinzu kommt die große, 10.000 Bücher und 220 Zeitschriften umfassende Präsenzbibliothek mit dem Schwerpunkt auf Automobiltechnik und -wirtschaft. Neben den zahlreichen Werken zur Marke Mercedes-Benz sowie der Daimler AG und ihren Vorläuferfirmen finden sich auch umfangreiche Bestände zur allgemeinen Automobil- und Technik-Geschichte.

Bestandteil der Archive ist zudem die Fahrzeugsammlung von Mercedes-Benz Classic. Sie bildet die Grundlage für alle automobilen Aktivitäten, die mit der einzigartigen Tradition von Mercedes-Benz verbunden sind. Schon seit dem Jahr 1921 ist eine werksinterne Fahrzeugsammlung dokumentiert. Die Sammlung verfügt inzwischen über mehr als 900 Fahrzeuge, rund 160 davon sind als Exponate im Mercedes-Benz Museum zu sehen.

Das Archiv stellt sich weiterhin der immer wichtiger werdenden Aufgabe, Quellen verschiedener Medientypen zu sammeln und zu bewahren. Diese Herausforderung wird auch produktiv genutzt, indem für die Nutzer Werkzeuge zur Verfügung gestellt werden, mit denen sich Inhalte des Archivs multimedial erschließen lassen. Der Nachlass von Mercedes Jellinek wird in dem Gedächtnis der „Mercedes-Familie“ in Ermangelung direkter Nachfahren also genau am richtigen Ort bewahrt.