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Altes Auto, was nun ?

Versuch einer Standortbestimmung für mobiles Kulturgut

Zauberworte schwirren durch die Szene, ohne die kein Vortrag, kein Aufsatz mehr auskommt: Restaurierung, Konservierung und Rekonstruktion – Kulturdenkmal oder Kulturgut. Oder für Fortgeschrittene: Solitäre oder seriengebundene Objekte, quellengerechte Bewahrung und Echtheitskritik. Gern sieht man es als Eigentümer, wenn die Beschreibung einer mühevollen, üblicherweise viel zu teuren Oldtimerrestaurierung mit dem Attribut „originalgetreu restauriert“ geschmückt werden kann. So gern und viel all diese Begriffe und Begriffsinhalte benutzt werden, so wenig wird leider ihre Bedeutung und ihre – am Objekt zu prüfende – Richtigkeit hinterfragt.

Entlehnt sind sie allesamt aus den Hilfswissenschaften der Geschichte, vorwiegend dem Denkmalschutz, aber auch der Kunstgeschichte und der Industrie-Archäologie, wo sie recht genau umrissene Bedeutungen haben. Die meisten entstammen der Gebäudedenkmalpflege, sind also für den Umgang mit Bauernhäusern, Barockschlössern oder auch Wassermühlen zugeschnitten. Ihre Übertragbarkeit auf Oldtimer – gar auf solche, die intensiv genutzt werden – ist naturgemäß begrenzt und nirgendwo bisher definiert. Der Erfolg ist, dass die Begriffsinhalte reichlich schwammig sind. Anlass genug, sich einmal genauer mit den so viel gebrauchten Begriffen auseinanderzusetzen und nachzulesen, wie ihre Bedeutung in den Disziplinen verstanden wird, aus denen sie entlehnt sind.

Die Quelle
In den Geschichtswissenschaften bezeichnet man Quellen im weitesten Sinn als die ursprünglichen Zeugnisse, aus denen jegliche Geschichtsschreibung und nachträgliche Interpretation schöpft. Man unterscheidet dabei zwischen Schriftquellen, Bildquellen, mündlichen Quellen und Sachquellen, jeweils unterteilt nach Primärquelle und Sekundärquelle. Um immer gleich die Brücke zu schlagen: Ein alter Kfz-Brief ist natürlich eine Schriftquelle, und zwar eine Primärquelle, ein später verfasster Reisebericht dagegen eine Sekundärquelle. Ein historisches Photo ganz klar ist eine Bildquelle.

Das Museum
(aus griechisch mouseion „Ort für gelehrte Beschäftigungen“)
Ähnlich wie das „moderne“ Denkmal ist auch das Museum ein Kind des 19. Jahrhunderts. Von der reinen Sammlung unterscheidet es sich dadurch, dass es über die reine Bestandsbildung und Präsentation hinaus Forschungen über seine Sammlungsgegenstände anstellt und entsprechende Ergebnisse öffentlich macht. Die Aufgabenbereiche eines jeden Museums lassen sich wie folgt zusammenfassen: Sammeln, Verwahren, Inventarisieren, Dokumentieren, Präsentieren und Publizieren. Bei so vielen Fremdwörtern ist sogleich klar: Das Museum ist eine wissenschaftliche Einrichtung. Welche Museen bei der heutigen Großwetterlage noch imstande sind, diesen hehren Zielen gerecht zu werden, ist eine ganz andere Frage; die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben viele Häuser gezwungen, sich im Wesentlichen aufs Verwahren und Präsentieren des „dreidimensionalen Kulturguts“ zu beschränken, wie es im Amtsdeutsch so schön heißt. Nicht selten haben es Denkmalschutz und Museen mit den gleichen Objekten zu tun, die Art von deren Behandlung und die dabei verfolgten Ziele können aber durchaus unterschiedlich sein. Nach außen dokumentiert sich dies auch dadurch, dass Objekte in Museumsbesitz in der Regel nicht unter Denkmalschutz gestellt werden. Befasst sich der Denkmalschutz vorwiegend mit Objekten, die noch in praktischen Nutzungszusammenhängen stehen (Gebrauchsgut), so ist das Objekt im Museum jeder praktischen Nutzung entzogen, es ist Teil einer Sammlung und dient der wissenschaftlichen Erforschung und Präsentation. So jedenfalls sollte es eigentlich sein. Natürlich aber stellt die Publikumsbesichtigung eines Oldtimers auch eine Form von Nutzung dar. Die langfristige Erhaltung von Originalsubstanz ist zweifellos am besten in einem Museum gewährleistet, das überdies nicht zu problematischen Umnutzungen gezwungen ist. Das Privileg, in einem Museum zu überleben, wird also stets nur einer kleinen, auserwählten Zahl von besonders interessanten Oldtimern vorbehalten bleiben. Dieser Umstand einerseits und die damalige Fülle an erhaltenen, zugleich aber akut in ihrem Bestand bedrohten Oldtimern hat in den 70er Jahren, als sich immer mehr Privatleute in allen möglichen Spielarten des Denkmalschutzes zu engagieren begannen, zur Gründung von diversen Museen geführt. So segensreich deren Tätigkeit für den Erhalt vieler hundert Oldtimer auch war und ist, so problematisch war der Begriff Oldtimermuseum dabei seit Anbeginn.

Konservierung
(aus lateinisch conservare „erhalten, haltbar machen“)
Die Konservierung, also Bestandserhaltung einer Sachquelle, besteht im einfachen Falle in der Fernhaltung von schädigenden Außeneinflüssen (Durchfeuchtung), der Abwendung oder zumindest Verlangsamung von Verfall. Eine Konservierungsmaßnahme kann auch in physikalischen oder chemischen Eingriffen bestehen. Maßnahmen, welche die Substanz des Objekts verändern, gehen über eine Konservierung hinaus. Strittig kann dabei beispielsweise sein, ob eine Neulackierung der Originalsubstanz zugerechnet wird oder nicht – bei einem Ölbild keine Frage, bei einem Oldtimer, der jedes Jahr vielleicht viele hundert Kilometer zurücklegt, ja.

Restaurierung
(aus lateinisch restaurare „wiederherstellen“)
Wenn beschädigte kunstgeschichtliche Objekte einer sachgerechten Instandsetzung bedürfen, so spricht man von Restaurierung: Die Entfernung von Schmutzschichten, vielleicht auch unsachgemäßen Übermalungen von einem Ölbild. Solange es sich dabei um Maßnahmen innerhalb der Originalsubstanz handelt, nichts erneuert oder Fehlendes hinzugefügt wird, bleibt der Begriff relativ scharfumrissen. Auch der Ersatz einiger schadhafter Ziegelsteine in einem mittelalterlichen Mauerwerk durch solche von identischem Maß und Aussehen, die vielleicht der Ruine eines Nebengebäudes entnommen sind, geben Praktikern noch keinen Anlass zu Grundsatzdiskussionen. Als ebenso legitim wird es angesehen, wenn innerhalb von technischen Objekten irreparable Teile, die einer Serienproduktion entstammen, durch identische Modelle der gleichen Baureihe ausgetauscht werden. Je mehr der ursprüngliche Restaurierungsbegriff jedoch auf die Instandsetzung komplexer Gebrauchsgegenstände wie einem Oldtimer ausgedehnt wird, desto schwieriger wird die Abgrenzung gegen Begriffe verwandten Inhalts wie Reparatur, Austausch, Ersatz und Rekonstruktion. Ein guter Weg zur Erhaltung eines beschädigten alten Gebrauchsgegenstandes kann in der Wiederherstellung seiner Funktionstüchtigkeit bestehen. Kein Problem, so lange sich der durchgebrannte Kolben ersetzen lässt. Ist ein alter Kotflügel unrettbar dahingerostet, so geht immer auch ein Stück Originalsubstanz dahin, wenn man ihn ersetzt, und wenn das neue Stück noch so akkurat nachgebaut ist.
Ganz anders die Ausgangslage, wenn Reifen – weil ein Verschleißgegenstand – im Laufe eines Autolebens immer wieder ersetzt worden sind, aber der Wert als Kulturgut hauptsächlich in der Demonstrierbarkeit ursprünglicher Funktionszusammenhänge besteht. Wenn das Restaurierungsziel also auch in der Wiederherstellung der ursprünglichen Nutzungsmöglichkeiten besteht, könnte man durchaus noch von einer Restaurierungsmaßnahme reden. Man sieht: Die Grenzen sind fließend je nach Definition und Grundeinstellung. Soviel aber ist unbestritten: Restaurierung bedeutet in erster Linie die Erhaltung von Originalsubstanz, kann in bestimmtem Rahmen aber auch die Ergänzung von fehlenden oder Ersatz von abgängigen Details an einem insgesamt aber vorhandenen Objekt bedeuten. Restaurieren kann man immer nur, was noch da ist, kommt neues Material ins Spiel, so rutscht man streng genommen bereits hinüber ins Kapitel „Rekonstruktion“. "Oldtimer haben ihre Schicksale und tragen Spuren ihrer Geschichte solange an sich, bis man diese Spuren beseitigt. Man sollte es nicht tun!"

Die Rekonstruktion
(aus lateinisch re-construere „wiederherstellen, nachbilden“)
Keine Maßnahme ist so umstritten wie die Rekonstruktion. Logisch eigentlich, denn unsere Aufgabe gilt dem Erhalt von Originalsubstanz und nicht dessen Ersatz und Kopie. Stets neue Nahrung erhält die Diskussion aus dem Lager der Architekten, deren Einfluss auf den Gebäudedenkmalschutz (und um den geht es dort ja vorrangig) traditionell sehr stark ist. Im Berufsethos der Architekten ist die Ablehnung gegen jedwede Rekonstruktion tief verwurzelt, man spricht dort verächtlich von „Nachäffen“. Was einmal weg ist, soll lieber neu gestaltet werden, und jede Erneuerung soll auch als solche erkennbar sein, die Handschrift ihrer Zeit tragen, alles andere wird als versuchte Vortäuschung unhistorischer Zustände, als Geschichtsklitterei verstanden. Klarer Fall, wird hier der wache Leser resümieren, sofern er nicht selbst einer ist
Besondere Beachtung wird dem Begriff der schleichenden Rekonstruktion gezollt. Gerade Gebrauchsgegenstände aus vergänglichen, organischen und der Abnutzung unterworfenen Materialien erfordern zur Abwendung von bedrohlicher Substanzschwächung im Lauf der Jahrzehnte eine stückchenweise Erneuerung, besonders wenn sie praktisch genutzt werden und dabei noch bestimmten Sicherheitsanforderungen genügen müssen.
Kein Oldtimer kommt heil über die Jahre, ohne dass hin und wieder etwas ausgetauscht werden muss; manche dieser Maßnahme, das haben wir sehen können, war dabei durchaus noch als Restaurierung interpretierbar gewesen. Der Preis, den man für die ansonsten ja wünschenswerte Inbetriebhaltung eines technischen Objekts zahlt, kann also in heimlichem Substanzverlust bestehen – genau das, was Denkmalpflege gerade verhindern soll. Wie die berühmte Geschichte von der 350 Jahre alten Axt, bei der alle 30 Jahre der Stiel und alle 50 Jahre das Heft ausgetauscht worden ist...

Restaurierungssünden
Fast nie präsentiert sich uns ein Oldtimer in einer stilreinen Erscheinung, fast immer trägt er Spuren aus allen möglichen Teilen seiner Geschichte an sich. Laien pflegen geradezu reflexartig nach der Beseitigung all solcher nachträglichen Umbauten und Hinzufügungen zu verlangen und wünschen sich das Fahrzeug wieder so, wie es einst vom Band gelaufen ist („Aber bitte mit Motor“). Unser Anliegen jedoch ist es durchaus nicht immer, einen ursprünglichen, stilreinen Zustand wiederherzustellen wie beispielsweise bei einem Ölbild, einer Freske. Die vielfältigen Gebrauchsspuren zu beseitigen, die sich im Laufe ihres Lebens eingegraben haben, bedeutet eine teilweise Zerstörung seines Quellenwertes und die Verfälschung („Renovierung“). Die Beseitigung aller nachträglichen Umbauten und Veränderungen („Rück-Restaurierung“) ist eine äußerst kritisch betrachtete Maßnahme, denn auch nachträgliche Umbauten machen möglicherweise längst einen Teil des Objekts aus. Niemand käme bei einer Restaurierung der Hamburger Katharinenkirche auf die Idee, ihren wunderschönen Barockturm abzureißen, um wieder die stilreine Gotik des ursprünglichen Baukörpers herzustellen (über dessen genaue Gestalt es höchstens grobe Mutmaßungen gibt). Als oberstes Gebot bei jeder Rekonstruktion und Rück-Restaurierung gilt: Keinen Eingriff ohne verlässlichen Befund! Zum einen müssen die Spuren am Objekt selbst ausgewertet worden sein (Reste alter Beschläge, Blindnieten, Zapfenlöcher etc.), zum anderen alle verfügbaren Sekundärquellen (Bauzeichnungen, Fotos, Modelle etc.). Jeder Eingriff in die Originalsubstanz, besonders bei der Beseitigung jüngerer Umbaustadien, alle dabei zutage tretenden Spuren und Strukturen gehören dokumentiert (zumindest fotografisch). Dass eine denkmalsgerechte Rekonstruktion form-, material- und handwerksgerecht erfolgen sollte, wissen alle nun schon auswendig. Zum Zeichen, dass dies auch wirklich so geschehen ist, belässt man hierbei gern so viele Originalteile wie möglich an ihrem Ort (und seien es nur Fitzel). Schönheit ist kein entscheidendes Kriterium für den Wert eines Denkmals, sondern Echtheit, und Restaurieren bedeutet nicht, alles so lange zu bearbeiten, bis es wieder aussieht wie neu. Wer sich einen Oldtimer im Neuzustand wünscht, sollte ehrlicherweise überlegen, eine Replica zu fahren.
Resultat: Oldtimer, die in Fahrt bleiben sollen, müssen einem sehr viel rasanteren Substanzaustausch unterworfen werden als jedes alte Haus, jedes Baudenkmal.

Die Bestandserhaltung und Präsentation
historischer Fahrzeuge in Privatbesitz, welches Etikett diese auch immer tragen, gehorchen jedenfalls anders gewichteten Prioritäten und Sachzwängen als die Baudenkmalpflege von Gebäuden. Einstellungssache? Der private Besitzer eines Oldtimers, der nicht unter Schutz steht, ist frei zu tun, was er damit will. Er kann es wie ein Denkmal behandeln oder sich einen Dreck scheren um das Fachgeplänkel der Experten. Einerseits darf er nicht auf Steuerbegünstigungen oder Zuschüsse hoffen, andererseits wird kein Verwaltungsbeschluss ihn daran hindern können, die historische Substanz seines Fahrzeugs zu zerstören, der Einbau von Bremskraftverstärkern in ein Fahrzeug Baujahr 1928 inklusive. Nur kollektive Bewusstseinsprozesse in den Gruppen, die sich mit deren Erhalt befassen, können letztlich den Bestand und den Quellenwert unserer Fahrzeuge auf breiter Front bewahren helfen. Dass man in Deutschland heute keine historischen Häuser mehr mit Glasbausteinen, Rekordfenstern und Eternit-Verblendern verschandelt, ist eine Folge solcher Prozesse.
Beteiligt hieran waren die Denkmalschutz-Organisationen mit ihrer Aufklärungsarbeit einerseits, und andererseits eine Riesenzahl engagierter Privatleute, die aus Freude am Wiederentdecken historischer Bauformen und Handwerkstechniken unsere Gegenwart wieder mit erfreulichen Farbtupfern aufgehellt haben, ob nun mit Zuschüssen oder nicht.
Was unsere Oldtimer angeht, so werden wir weitgehend ohne den staatlichen Part auskommen müssen. Was wir aber wollen, ist ein Bestandsschutz für unsere Fahrzeuge. Es ist nicht die Frage abzuwarten, bis nur wenige Fahrzeuge ihrer Gattung übrig sind. Gedanken über Schutzmaßnahmen muss man sich viel früher machen, denn der Bestand an historischen Objekten reduziert sich ganz von selbst und unabhängig von deren rechtlichem Status. Wichtiger ist aber auch die Form der Präsentation. Durch ständig neue Gesetzgebungen, die die Automobile in ihrem gesamten Bestand treffen, wird auch die Präsentation unserer historischen Fahrzeuge immer mehr eingeschränkt. Da es sich aber um mobiles Kulturgut handelt, ist auch hier die Mobilität zu gewährleisten. Dies zu gewährleisten muss auch Aufgabe aller Kulturinteressierten und Verantwortlichen sein. Ein historisches Fahrzeug ist nun einmal kein statisches Objekt, sondern ein Objekt, das vom Betrachter durch dessen Sinne erfahren werden muss. Ein historisches Fahrzeug muss in Bewegung erlebt werden, man kann es riechen und hören. Die Art und Weise, wie ein historisches Fahrzeug von seinem Betrachter erlebt wird, nämlich in Bewegung, ist ein wichtiger Teil, um seine historische Bedeutung und den damit eng in Zusammenhang stehenden zeitgeschichtlichen, sozialen, städtebaulichen, ethischen und technischen Aspekt zu erkennen.


Peter-David Göhr unter Mitverwendung von Textpassagen von Joachim Kaiser