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Das Museum, das keiner kennt: Citroens Glanz schimmert im Verborgenen

Als Stätte automobiler Kultur und Traditionspflege haben Automuseen eine große Publikumswirkung, allein in Deutschlang gibt es mehr als 250 solcher Sammlungen. Sie widmen sich der Historie einzelner Marken oder verschaffen Einblicke in motorsportliche oder technische Nischen. Doch längst nicht alles, was mit großer Sorgfalt gesammelt und gepflegt wird, ist öffentlich zugänglich. In einer unscheinbaren Halle im Nordosten von Paris hat die Marke Citroen alles versammelt, was für ihre fast 100-jährige Geschichte bedeutsam erscheint.

Wo anders als am Boulevard André Citroen kann man sich so eine Kultstätte vorstellen? Unweit des Flughafens Charles de Gaulle, auf einem ehemaligen Standort der Automobil-Produktion sind nicht nur rund 400 Fahr-Zeugnisse der Firma untergebracht, sondern auch Unmengen von Modellen und Dokumenten, so dass die Halle ohne Übertreibung als „Gedächtnis“ der Marke gelten kann, die nicht nur in Deutschland häufig als „Zitröhn“ verballhornt wird. Die offizielle Bezeichnung „Conservatoire“ umfasst außer Serienmodellen und Prototypen, Sondereinsatz- und Rennwagen auch das komplette Archiv der Firma mit Zulassungsregister, Konstruktionsplänen, Desginskizzen, Broschüren und technischen Anleitungen.

Linda Jackson, Citroen-Markenchefin zum Conservatoire: „Citroen blickt auf eine einzigartige Marken-Geschichte und hat mit vielen Modellen bis heute und auch in Zukunft den Automobilbau geprägt und stark beeinflusst. Dieses Erbe ist ein Schatz und eine Verpflichtung und Citroen pflegt dieses Erbe sorgfältig.“ Allerdings geht die Pflege noch nicht so weit, dass man die Autosammlung Besuchern präsentieren könnte. Die aufgereihten Fahrzeuge, notdürftig nach Alter, Modellzyklen und Produktionszeit sortiert, sehen unter dem unverkleideten Hallendach aus wie in einem schlecht beleuchteten Parkhaus. Nur mit dem Unterschied, dass sie vereinzelt so eingepfercht sind, dass niemand damit zur Ausfahrt gelangen könnte.

Der 1878 geborene Ingenieur André Citroen hatte auf einer Reise in die polnische Heimat seiner Mutter ein Getriebe gesehen, das mit Doppelwinkel-Radzähnen arbeitete. Nach seiner Rückkehr ließ er sich diese Bauform patentieren und gründete 1905 eine Firma zur Herstellung von Getrieben. Der Doppelwinkel wurde zum Markenlogo und ist es bis heute geblieben. 1919 wurde mit dem Typ A das erste Automobil in Serie hergestellt, weshalb in drei Jahren ein großes Jubiläum ansteht.


Citroen Revolte.
Foto: Axel F. Busse

Wenn Linda Jackson von „prägenden“ Modellen für den Automobilbau spricht, ist das keine Selbstüberschätzung. „Traction Avant“ ist der französische Begriff für Vorderradantrieb und als Citroen 1934 seine erste Limousine mit dieser Technik heraus brachte, soll André Citroen dies so begründet haben: „Ein Pferd schiebt ja auch keinen Wagen, sondern zieht ihn.“ Das Auto ist heute freilich besser bekannt als „Gangster-Citroen“, aus dessen hinten angeschlagenen Türen man erstklassig feuern konnte und der dank des Frontantriebs zudem ein überlegenes Fluchtfahrzeug war.

Andere Fabrikate mit dem Doppelwinkel erlangten ebenfalls Kultstatus: So zum Beispiel die „Ente“, offiziell als Citroën 2CV vorgestellt und zwischen 1949 und 1990 mehr als 3,8 Millionen Mal weltweit verkauft. Als „Bimoteur“-Modell und dem Beinamen „Sahara“ waren sogar Allradversionen gebaut worden – ganz offroad-konform mit Ersatzreifen auf der Fronthaube. Nicht weniger kultig ist die „Göttin“ Déesse, die im Oktober 1955 auf dem Pariser Autosalon für Aufsehen und hunderte Spontankäufe sorgte. Bis 1975 wurden von der Stromlinien-Limousine immerhin fast 1,5 Millionen Exemplare gefertigt. Ihre hydropneumatische Federung war beispielgebend für mehrere spätere Modelle. Zahlreiche Varianten dieser Verkaufs-Millionäre sind im Conservatoire ebenso zu bestaunen wie einige missglückte Versuche, die Autowelt mit neuen Kreationen zu beglücken.


2CV-Urahnen im Conservatoire Citroen.
Foto: Axel F. Busse

Für die Staatsoberhäupter der 5. Republik war es Ehrensache, sich in einem Citroen chauffieren zu lassen. Zu Zeiten Charles de Gaulles konnten sie dies auch noch ungefährdet im offenen Wagen tun. Mehrere Präsidenten-Limousinen und –Cabriolets stehen blankgewienert in einer Ecke der Halle, darunter zwei auf der Basis des legendären Citroen SM. Zwar sehen sie aus, als hätten sie einen Achsschaden oder gebrochene Federn, doch nur deshalb, weil ihre Dämpfungsanlage ohne Druck im System die Karosserie um einige Zentimeter absinken lässt. Verlängerter Radstand, schwere Ledersessel und edles Holz kennzeichnen das Ambiente, das den Nachfolgern der gekrönten Häupter Frankreichs vorbehalten war.

Renn- und Rallyeautos, Militärfahrzeuge mit Raupenketten, Feuerwehr- und Krankenwagen – all das trägt hier den Doppelwinkel. Futuristische Concept-Cars, Ton-Modelle und sogar Hubschrauber ergänzen das umfangreiche Mosiak einer Unternehmensgeschichte, das seine schriftliche Fortsetzung in mehr als anderthalb Regal-Kilometern von Dokumenten findet. „Das Conservatoire ist ein Ort für die Freunde und Fans der Marke – kein klassisches Museum, sondern eine dynamische Sammlung, denn die Fahrzeuge werden für Ausstellungen und klassische Rallyes weltweit eingesetzt oder auch für Filmproduktionen genutzt“, erklärt Linda Jackson.


Dreirad im Conservatoire Citroen.
Foto: Axel F. Busse

Das Archiv wird von Sammlern als Informationsquelle genutzt und zumindest virtuell können sich Fans der Marke eine Vorstellung davon verschaffen, welche erstaunlichen Hervorbringungen die Straßen und Schotterpfade der Welt im Namen André Citroens bevölkert haben. Unter www.citroenorigins.de ist eine Website eingerichtet worden, die wesentliche Bestandteile der Sammlung erlebbar macht. Beim Klick auf das jeweilige Modell bietet das virtuelle Museum neben zahlreichen sehenswerten Fotos von außen und vom Inneren des Fahrzeugs ein umfassendes Zahlenwerk sowie technische Daten: Angaben zu Baujahr, Außenmaßen sowie Höchstgeschwindigkeit sind ebenso abrufbar wie angebotene Motorisierungen und die Anzahl produzierter Fahrzeuge. Eine 360-Grad-Funktion ermöglicht dem Nutzer eine Rundumsicht auf und in das jeweilige Fahrzeug.

Doch sollte der Plan gefasst werden, das Conservatoire zum öffentlichen Museum auszubauen, wären erhebliche Investitionen notwendig. Eine angemessene Präsentation der Markenhistorie ist ohne Neustrukturierung dieser Pretiosen, Maßnahmen für Feuerschutz und Lichtdesign, Logistik und Gastronomie, Parkplätze und Merchandising nicht denkbar. Ob der PSA-Konzern die nötigen Mittel dafür in die Hand nehmen will, bleibt vage, wenn Linda Jackson sagt: „Wir freuen uns auf das besondere Jubiläum 2019 und werden es angemessen feiern. Lassen Sie sich überraschen....“ (ampnet/afb)